Prof. Dr.-Ing. Hans-Jürgen Siegert – em. Ordinarius für Informatik der Technischen Universität München und langjähriges Mitglied der Kommission für Rechenanlagen der Deutschen Forschungsgemeinschaft wie deren Fachgutachter sowie Vorsitzender einiger zukunftsorientierter Kommissionen des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft (Forschung) und Kunst (STMWFK) auf informatischem Gebiet – hat in Vorbereitung des von ihm erwarteten Gutachtens (im Zuge eines Ordensverfahrens) eine Würdigung meiner »Verdienste um die IT-Ausstattung der bayerischen Universitäten und Fachhochschulen« verfasst. Er tat dies als Referenzperson und Zeitzeuge für die von dem Stuttgarter Historiker und Mitglied der Historischen Kommission für Schlesien Prof. Dr. Norbert Conrads 2019 angeregte Verleihung des Bayerischen Verdienstordens an mich. Von der Expertise Prof. Siegerts (selbst Träger des Bayerischen Verdienstordens und des Bundesverdienstordens) wurde indessen nicht Gebrauch gemacht, weil die Bayerische Staatskanzlei besagter Anregung nicht nähergetreten ist *. Dessen ungeachtet wollte Prof. Siegert seine gutachtliche Äußerung dem hiesigen Wissenschaftsministerium offiziell zur Kenntnis bringen und damit insbesondere bewirken, dass sie Eingang in meine Personalakte finden würde. Über dieser Absicht ist er am 12. Februar 2021 verstorben.
Die Wiedergabe des nachfolgenden Textes auf meiner Website erfolgt in Abstimmung mit der Witwe des Verstorbenen.
Herr MR a.D. Norbert Willisch, geboren am 21. August 1941, hat sich sehr große Verdienste um Bayern erworben. Daher befürworte ich die Verleihung des Bayerischen Verdienstordens nachdrücklich und wärmstens ohne jeden Vorbehalt.
Herr Willisch hat einen wesentlichen Beitrag zur frühen Digitalisierung in Bayern geleistet und dadurch erheblich zur heutigen Spitzenstellung der bayerischen Universitäten und Fachhochschulen sowie zu dem guten wirtschaftlichen Standing Bayerns beigetragen. Sein herausragendes Engagement schon in den Anfängen des Informatikzeitalters für den Ausbau des Computereinsatzes war überhaupt nicht selbstverständlich und ging sehr, sehr weit über das im Rahmen seiner Dienststellung Erwartbare hinaus. Seine Förderung der Digitalisierung umfasste fast alle Aspekte, angefangen von rechtlichen Fragen der Rechnernutzung, über fundierte Vorschläge der richtigen Strukturen bis zur zukünftigen Bedarfsplanung und Finanzierung. Er hatte dabei sowohl alle Fächer in den Universitäten und Fachhochschulen als auch die Verwaltung sowie zeitweise die wissenschaftlichen Bibliotheken und die Hochschulkliniken einbezogen. Die Etablierung eines Höchstleistungsrechners im Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die ohne den Einsatz und die Aktivitäten von Herrn Willisch nicht möglich gewesen wäre, hat Bayern eine herausragende nationale und europäische Stellung in dem zukünftig enorm wichtigen Gebiet des Höchstleistungsrechnens gebracht.
Zunächst möchte ich noch einen kurzen Blick auf die Arbeitsweise von Herrn Willisch werfen. Herr Willisch hat wach und engagiert die möglichen Entwicklungen und Probleme bei der Datenverarbeitung/Digitalisierung beobachtet. Um sachlich fundierte, sinnvolle und wirksame Aktivitäten einzuleiten, hat er fachlich hochkarätig besetzte Kommissionen initiiert. Als Ergebnis sind beispielsweise folgende Kommissionsberichte veröffentlicht worden, die die Breite der notwendigen Maßnahmen aufzeigen:
Herr Willisch hat an allen Kommissionssitzungen teilgenommen und so ein tiefes Verständnis für die jeweilige Sache erworben. Er hat sich für alles stets aufgeschlossen und fair gezeigt, so dass die Diskussionen in den Sitzungen der Kommission wissenschaftlich ganz offen erfolgen konnten. Dies ist äußerst ungewöhnlich. Ebenfalls selten anzutreffen ist, dass die Ergebnisse der Kommission nicht einfach abgelegt wurden, sondern dass Herr Willisch mit vollem Engagement seine Vorgesetzten und den zuständigen Minister über die Erkenntnisse und Empfehlungen informierte, die notwendigen Mittel beschaffte und die Realisierung nachdrücklich begleitete. Wie gesagt, mit einem Weitblick, einem Engagement, einem Ideenreichtum und einer Nachdrücklichkeit, die sehr, sehr weit über die normalen dienstlichen Tätigkeiten hinausging. Bayern ist ihm dafür zu Dank verpflichtet.
Nachfolgend seien nun einige der eingangs angeführten Punkte noch etwas vertieft dargestellt.
Norbert Willisch war von 1969 bis 1975 als Gymnasiallehrer im staatlichen Schuldienst (der Fächer Mathematik und Physik) an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus abgeordnet, um den Einsatz der Datenverarbeitung in der Verwaltung der vielen tausend Lehrkräfte, für die teils das Ministerium bzw. mittelbar die (Bezirks-)Regierungen zuständig waren, zu erproben und vorzubereiten. Am Ende stand eine den Gesamtbestand der Lehrer an den staatlichen Gymnasien, Real- und Wirtschaftsschulen, Fachoberschulen, Berufsoberschulen sowie Volks- und Sonderschulen umfassende zentrale Lehrerdatei (nebst Schuldatei) mit den nötigen Werkzeugen zur Unterstützung der einschlägigen Verwaltungsvorgänge, beispielsweise Ein- und Anstellungen, sowie für planerische Zwecke zur Verfügung.
1975 wurde Norbert Willisch Leiter des neu geschaffenen Querschnittsreferats für »Angelegenheiten der Daten- und Informationsverarbeitung im Hochschulbereich des Landes«. Bei den anstehenden schwierigen Zukunftsaufgaben sollte er seine Erfahrungen auch für die Datenverarbeitung in der Wissenschaft, der Verwaltung, den Bibliotheken und den Kliniken einbringen und umsetzen.
Die herausragende Leistung von Norbert Willisch für Bayern kann man nur richtig würdigen, wenn man sich die Situation in der Datenverarbeitung zu dieser Zeit nochmals vor Augen führt. Inzwischen sind mehr als 40 Jahre vergangen und Computer sind heute allgegenwärtig und aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken.
In den 1970er Jahren war die Bedeutung der Informatik und der Computer noch Gegenstand kontroverser Diskussionen. Es gab zwar in großen Firmen, in staatlichen Stellen (Finanzministerien, Flugsicherung), Großforschungseinrichtungen und Universitäten Rechenzentren, aber diese arbeiteten normalerweise im Stapelbetrieb (›Shop-Betrieb‹). Es wurden also von den Benutzern die Rechenaufträge in Form von Lochstreifen oder als Lochkartenstapel im Rechenzentrum abgegeben. Nach mehreren Stunden (im Idealfall) oder mehreren Tagen kamen die Ergebnisse in Großbuchstaben auf breitem Endlospapier gedruckt zurück. Vereinzelt gab es, insbesondere beim in Deutschland entwickelten und produzierten Großrechner TR440, auch einen Dialogbetrieb, bei dem Benutzer über Textsichtgeräte direkt mit dem Computer verbunden waren. Im Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (LRZ) standen zu dieser Zeit 315 Text- und 14 schwarz-weiß Grafik-Sichtgeräte. Für das Universitätsrechenzentrum Bayreuth werden 22 Text- und 1 Grafik-Sichtgerät angegeben.
Kriterium für den Bedarf an Rechenleistung in den Rechenzentren war die Auslastung der Zentraleinheit. Diese hoch (beispielsweise auf 80%) zu halten, war ein wesentliches Betriebsziel, da Computer teuer waren und mit Peripherie große klimatisierte Flächen erforderten. Der Übergang zum Dialogbetrieb, der heute selbstverständlich ist, stand damals im Gegensatz zu den Strategien der Rechenzentren und der Geldgeber. Außerdem musste ein wesentlicher Umbruch bewältigt werden. Heute würde die Frage ›Zu wieviel Prozent ist Dein Smartphone ausgelastet?‹ als Rechtfertigung für einen Kauf auf totales Unverständnis stoßen.
In den 1970er Jahren gab es noch kein Internet. Erst einzelne Computer waren mit Standleitungen verbunden. In Deutschland galt noch das Postmonopol, d.h. Leitungen außerhalb des eigenen Grundstücks mussten von der Post gemietet werden. Zusätzlich gab es ein paketvermittelndes, drahtgebundenes Fernmeldenetz (Datex-P) mit 9,6 kb/s und der Aussicht auf 64 kb/s. Zu den Glasfasernetzen finden wir im Programm der Bundesregierung zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Technischen Kommunikation 1978–1982 [Der Bundesminister für Forschung und Technologie, der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Bonn, 1979.]: »Die Grundkomponenten der optischen Nachrichtentechnik, Lichtleitfaser, Halbleiterlaser und Fotodiode, haben mittlerweile einen Entwicklungsstand erreicht, der die Durchführung von Betriebsversuchen mit relativ niederratigen Systemen erlaubt (34 MBit/s-Nachrichtenübertragungssystem der DBP im Ortsnetz Berlin).« In den USA wurde das Arpanet ab 1968 im Auftrag der US-Luftwaffe, insbesondere von einer kleinen Forschergruppe unter der Leitung des MIT (Massachusetts Institute of Technology) entwickelt. Es verknüpfte einige Universitäten und Forschungseinrichtungen in den USA, und nach Hawai und nach London wurde je eine Satellitenverbindung bereitgestellt. Erst 1989 stellte Tim Berners-Lee bei CERN die Idee für ein ›world wide web‹ vor, und ein entsprechendes Projekt zur Realisierung wurde begonnen. Den ersten, sehr eingeschränkten Webbrowser schrieb Berners-Lee im Herbst 1990. Das war der Beginn der heutigen Internetnutzung.
Dem Bericht »Datenverarbeitung in Lehre und Forschung an den staatlichen wissenschaftlichen Hochschulen und Fachhochschulen in Bayern – Stand und Erfordernisse der maschinellen Ausstattung. 1982« des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus sind folgende Zahlenangaben entnommen: 1980 gab es in Bayern 8 Universitätsrechenzentren mit insgesamt 14 Rechensystemen, die zusammen etwa 17 MByte Arbeitsspeicher und etwa 22 GByte Hintergrundspeicher (Platten) hatten. Diese Zahlen liegen qualitativ und quantitativ deutlich unterhalb dessen, was heute ein einzelnes Smartphone bietet. Die Rechner wurden vorwiegend im Stapelbetrieb genutzt. An einzelnen Universitätsinstituten mit besonderem Bedarf an Rechenleistung gab es auch ganz wenige lokale und nicht mit dem Rechenzentrum verbundene Rechner.
Dies möge für die Situationsbeschreibung der Datenverarbeitung Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre genügen. Man erkennt an diesen wenigen Beispielen schon die vielfältigen und gewaltigen Umbrüche bei der Versorgung mit Rechenleistung in Norbert Willischs Zeit als DV/IT-Referent. Er hat diese Umbrüche mit außergewöhnlichem Einsatz begleitet, mitgestaltet und gefördert, wie die folgenden Punkte verdeutlichen:
1986 Beitrag »Erste Erfahrungen mit dem Computer-Investitions-Programm (CIP) – Darstellung aus Beschaffersicht« anlässlich einer wissenschaftlichen Fachtagung zu diesem Thema (einziger Beitrag eines Ländervertreters);
1987 als externer Sachverständiger bei den »Empfehlungen zur Ausstattung der Hochschulen mit Rechenkapazität« des Wissenschaftsrates;
1990 Beteiligung an der Evaluation der Akademie der Wissenschaften der ehemaligen DDR im Bereich Mathematik und Informatik durch den Wissenschaftsrat – als (einziger) Vertreter von Länderseite;
1995 Mitarbeit als externer Sachverständiger an den »Empfehlungen zur Bereitstellung leistungsfähiger Kommunikationsnetze für die Wissenschaft« und der »Empfehlung zur Versorgung von Wissenschaft und Forschung mit Höchstleistungsrechenkapazität« des Wissenschaftsrates;
1995 Mitwirkung an der Schrift »Informationsgesellschaft – Chancen, Innovationen und Herausforderungen« des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) als (einziger) Ländervertreter in der Arbeitsgruppe »Forschung, Technik, Anwendungen« des Rates für Forschung, Technologie und Innovation beim Bundeskanzler.