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Lebensbild '93
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Ferienaufenthalt
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Denkmal in Lubowitz
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Lebensbild '01
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Taugenichts-Ausgabe
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Taugenichts-
Aufführung '03

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Geburtstagsfeier '04
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Denkmal in Ratibor
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Cöthen
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Gedenktafel in Breslau
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Gedenk-Jahr '07
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Taugenichts-
Aufführungen '07

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Ausstellung zum
150. Todestag

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Gedenkplatte in
Lubowitz

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Denkmal in Breslau
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Wem Gott will rechte Gunst erweisen...
den läßt er nach Bayern reisen...

Eine erlebnisreiche Woche zum Auftakt ihrer Sommerferien verbrachten in München und Oberbayern 32 Schülerinnen und Schüler sowie acht Lehrkräfte aus Ratibor (polnisch: Racibórz) und Umgebung. Die Buben und Mädchen aus deutschen und polnischen Familien hatten sich durch ihre Leistungen bei einem Eichendoff-Wettbewerb ausgezeichnet, der im Frühjahr dieses Jahres an Schulen der engeren Heimat des Dichters durchgeführt wurde. Die Schüler und die bei der Durchführung des Wettbewerbs besonders engagierten Lehrkräfte waren Gäste des Nymphenburger Gymnasiums mit Realschule in München, das schon einmal eine oberschlesische Schülergruppe bei sich aufgenommen und einen »Deutschen Freundschaftskreis« (DFK) in Oberschlesien beim Aufbau einer deutschsprachigen Bibliothek unterstützt hat. Ermöglicht wurde der Gastaufenthalt durch die dafür vom Bayerischen Kultus-/Wissenschaftsministerium und vom »Haus des Deutschen Ostens« in München bereitgestellten Mittel und durch das Deutsche Generalkonsulat in Breslau, welches für die Fahrtkosten aufkam. Einen besonderen Akzent erhielt der Besuch durch ein politisches Ereignis, das in der gleichen Woche stattfand und das deutsch-polnische Verhältnis wieder einmal ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte: den zweiten Staatsbesuch des deutschen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl in Polen.

Angefangen hatte alles im September 1994 vor dem gerade eingeweihten Eichendorff-Denkmal in Ratibor. Der deutsche Generalkonsul in Breslau, Bruno Weber, und der Geschäftsführer des »Deutschen Freundschaftskreises« im Bezirk Kattowitz, Dr. Josef Gonschior, sprachen mich darauf an, ob die besten Teilnehmer eines geplanten Schülerwettbewerbs zur Verbreitung der Kenntnisse über Joseph von Eichendorff nicht mit einer Reise nach Bayern belohnt werden könnten. Bayern hat sich seit dem Besuch des für grenzüberschreitende Kulturarbeit zuständigen Arbeits- und Sozialministers Dr. Gebhard Glück in Oberschlesien im Jahr 1990 die Förderung der Eichendorff-Gedenkstätten im Geburtsort Lubowitz des Dichters bei Ratibor angelegen sein lassen und auch die Herausgabe eines deutsch-polnischen »Lebensbildes« von Eichendorff ermöglicht. Durch diese Schrift und ihre Verteilung an interessierte Schulen im Ratiborer Land wurde der Boden für den Wettbewerb bereitet. Die Wiedererrichtung des Eichendorff-Denkmals in Ratibor, der »Stadt des jungen Eichendorff«, wie sie sich früher nannte, gab den Anstoß dazu.

Viel war zu tun, bis feststand, daß gefahren werden konnte und wer die Reiseschuhe schnüren durfte. Dessenungeachtet war der Wettbewerb in Abstimmung mit der Schulbehörde in Kattowitz und ihrer »Delegatur« in Ratibor ausgeschrieben worden und angelaufen. Er wurde in drei Altersgruppen durchgeführt, für Grundschulen bis zur 6. Klasse, für die Jahrgangsstufen 7 und 8 (Mittelstufe) sowie für Ober- und Berufsschulen. Die Teilnehmer mußten sich einer Vorauswahl unterziehen, in der ein Gedicht oder Prosastück von Eichendorff in Deutsch oder Polnisch vorzutragen war, und im Finale Fragen über Leben und Werk des Dichters sowie um das ihm zu Ehren errichtete Denkmal beantworten und eines seiner Gedichte rezitieren oder ein Lied nach Eichendorffschem Text singen. An der Bewertung wirkten Dozenten und Studenten des in Ratibor bestehenden Deutschlehrer-Kollegs, Deutschlehrer aus den Schulen der Stadt und Region und Mitglieder des DFK-Lehrerfachausschusses mit. Von über 200 zum Wettbewerb angetretenen Schülerinnen und Schülern qualifizierten sich an die 80 für das Finale, schließlich wurden 32 (22 Mädchen und 10 Buben) als Beste ermittelt. Das Finale des Eichendorff-Wettbewerbs fand - ein schöner Zufall - im Beisein von Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt vom Bundesinnenministe-
rium statt, der im Vorfeld des Kanzlerbesuchs in Polen zu Gesprächen mit Vertretern der deutschen Volksgruppe nach Oberschlesien gekommen war. Die meisten der »Preisträger«, nämlich zehn, kamen aus Ratibor, fünf Mädchen - Angehörige einer deutschen Jugendgruppe - aus Preußisch Krawarn (jetzt Krowiarki), die übrigen aus zehn weiteren Orten rund um Ratibor; eines der Mädchen ist im »Hultschiner Ländchen« zu Hause, einem früher zum Kreis Ratibor gehörenden Gebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg der Tschechoslowakei zugesprochen wurde; die oberschlesischen Eichendorffs stammen aus jener Gegend und besaßen dort große Landgüter.

Auch auf hiesiger Seite verlief alles wunschgemäß: Die Finanzierung konnte sichergestellt und die Unterbringung - keine leichte Aufgabe bei der Größe der Gruppe - mit Hilfe des erzbischöflichen Jugendamtes München gelöst werden. Die Mädchen und die sie begleitenden Lehrerinnen fanden zu ihrer Überraschung in einem von polnischen Ursulinen geführten Jugendhotel im Zentrum Münchens Quartier; für die Schülerinnen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen konnten (leider die überwiegende Zahl, auch der Buben - obwohl die meisten aus deutschen Familien kommen), eine dankbar begrüßte Fügung. Um den Deutschunterricht in Oberschlesien ist es nämlich nicht zum besten bestellt: Zahlreiche deutsche Familien, die durch den jahrelang streng verbotenen Gebrauch des Deutschen ihre Muttersprache verloren haben, möchten, daß ihre Kinder Deutsch lernen, fürchten aber andererseits noch immer daraus erwachsende Benachteiligungen; außerdem fehlt es an den nötigen Lehrkräften für den Deutschunterricht, so daß er an zu wenigen Schulen und nicht in der nötigen Intensität erteilt werden kann. Es wäre insofern wünschenswert, wenn von den durch die Ministerpräsidenten der deutschen Länder neuerdings angeregten Maßnahmen zur Förderung der deutschen Sprache in den Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas auch Oberschlesien profitierte. Einen großen Nachholbedarf gibt es ebenso an Kontakten deutscher Schulen zu Schulen aus jenen Teilen Oberschlesiens, die einen starken deutschen Bevölkerungsanteil aufweisen; hieraus könnten sich dann die eine oder andere feste Partnerschaft und ein Schüleraustausch entwickeln.

Das Nymphenburger Gymnasium mit Realschule geht hierbei mit gutem Beispiel voran. Es stellte einen erfahrenen Lehrer vom Unterricht frei, der sich um die Gäste kümmerte und sie durch ein attraktives Besuchsprogramm führte. Gemeinsame Unternehmungen der oberschlesischen und bayerischen Schüler ließ diesmal der noch nicht ganz erfüllte Lehrplan der Schule leider nicht zu. Die Kontakte blieben so auf gelegentliche Treffs beim gemeinsamen Mittagstisch in der Ganztagsschule beschränkt. Auf dem Programm standen ausgedehnte Stadtbesichtigungen, selbstverständlich auch ein Abstecher zur nahegelegenen Sommerresidenz der bayerischen Kurfürsten und Könige, Schloß Nymphenburg, mit der an diesem Tag auch vom ukrainischen Staatspräsidenten bewunderten »Schönheitsgalerie« König Ludwigs I., und ein Streifzug durch den Olympiapark. Besonderes Vergnügen machten eine Tour durch das Bavaria-Filmgelände in Geiselgasteig mit spannenden Film- und Action-Vorführungen und Gelegenheit zur Erprobung eigener Darstellungskünste sowie ein Besuch im Siemens-Museum, der durch die dabei erhaltenen batterielosen, solarstromgespeisten Taschenrechner in angenehmer Erinnerung bleiben wird. Natürlich fehlte auch eine zünftige »Brotzeit« in einem der gemütlichen Biergärten der Stadt nicht.

Mit gemischten Gefühlen sahen die Schüler dem angesagten Empfang im Kultusministerium durch Staatssekretärin Monika Hohlmeier, die Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, entgegen. Einige Mädchen hatten aus diesem Anlaß ihre schmucke oberschlesische Tracht angelegt. Das Ganze war aber alles andere als ein steifes Zeremoniell. Frau Hohlmeier verstand es, die Jugendlichen aus der Reserve zu locken. Und so erklang der große Sitzungssaal von Gedichten und Liedern in teilweise leicht verfremdetem Deutsch und auch in Polnisch; eine zierliche Schülerin fiel besonders durch ihre bühnenreife Vorstellung auf, der jüngste, kaum zehn Jahre alte Teilnehmer durch seinen unerschrockenen Vortrag. Bei dieser Gelegenheit entstand das nebenstehende Foto: Es zeigt die Staatssekretärin inmitten einiger Schüler, auf der rechten Seite den Initiator und Organisator des Eichendorff-Wettbewerbs, DFK-Geschäftsführer Dr. Josef Gonschior, auf der linken Seite den die Gruppe begleitenden »Kulturbürgermeister« der Stadt Ratibor, Mgr. Adam Dzyndra, zusammen mit Lehrer Dr. Gerard Fica.

Zu unvergeßlichen Erlebnissen wurden - begünstigt durch das herrliche Wetter - zwei Ausflüge zum Chiemsee und nach Garmisch-Partenkirchen mit einer Fahrt auf den über 2.000 m hohen Osterfelderkopf, von dem der Blick auf die nahe Alpspitze (die kleinere »Schwester« der Zugspitze) und ins Werdenfelser Land hinausging, und einer Wanderung bergab über Schneefelder und saftige Almen durch das Höllental. Für die Passage durch die wildromantische Höllentalklamm erließ der »Deutsche Alpenverein« der Gruppe entgegenkommenderweise einen Großteil der Mautgebühr. Zum Chiemsee lockten anderntags das Königsschloß auf der Herreninsel und die Benediktinerinnenabtei auf der Fraueninsel. Das Schloß des bayerischen »Märchenkönigs« Ludwig II., dessen Geburtstag sich im Monat August zum 150. Mal jährte, konnte mit einem Freibillet des Präsidenten der staatlichen Schlösserverwaltung besichtigt werden. Im Kloster Frauenwörth nahm sich die aus Schlesien stammende Äbtissin Domitilla Veith selbst Zeit für die Besucher, um ihnen das Kloster - auch die der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Teile - zu zeigen und sie mit der bis ins achte Jahrhundert zurückreichenden Klostergeschichte und den weniger bekannten Verbindungen zur Familie von Eichendorff bekannt zu machen: Von 1913 bis 1921 war nämlich eine Enkelin des Dichters, Hedwig resp. Mater Placida, hier Äbtissin. An sie und vier ihrer auf dem Inselfriedhof zur letzten Ruhe gebettete Geschwister erinnern eine Gedenktafel und ein Grabstein sowie einige im Kloster verwahrte Schätze aus dem Familiennachlaß, darunter Möbel mit geschnitzten Eichendorff-Wappen und Bücher.

Zur Reise hatte auch der in der Nähe von München lebende berühmte Komponist Günter Bialas, 1907 geborener Oberschlesier aus Bielschowitz bei Kattowitz und Träger des »Bayerischen Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst« wie vor ihm Eichendorff (der als einer der ersten die Auszeichnung aus der Hand von König Maximilian II. von Bayern empfing), durch eine großzügige Spende beigetragen. Auch den Eichendorff-Verein und die Eichendorff-Gedenkstätte in Lubowitz hat er finanziell unterstützt und letzterer im vergangenen Jahr eine Aufnahme des Bayerischen Rundfunks von seinem Eichendorff-Liederbuch für gemischten Chor und zwei Gitarren geschenkt. Als die Reisegruppe zur Heimfahrt rüstete, ist er, kurz vor Vollendung des 88. Lebensjahres, in seinem Haus in der Nähe von München verstorben. Man erinnert sich des wunderbaren Eichendorff-Gedichts »Letzte Heimkehr«, in dem es am Schluß heißt: Nun ruh’ zum letzten Male aus, / wenn du erwachst, sind wir zu Haus.

Wie ich höre, möchten die Organisatoren des Eichendorff-Schulwettbewerbs im nächsten Jahr einen zweiten Durchlauf wagen, dann aber den ganzen Bezirk Kattowitz einbeziehen. »Sponsoren« dafür werden noch gesucht. Meines Erachtens wäre auch daran zu denken, den Wettbewerb auf weitere bedeutende Persönlichkeiten des an kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Leistungen so reichen (ober)schlesischen Raumes auszudehnen. In Bayern findet schon seit 18 Jahren in den Jahrgangsstufen 9 und 10 quer durch alle Schularten der Wettbewerb »Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn« statt, durch den die Schüler angehalten werden, sich mit Geschichte und Kultur jener Gebiete und ihren aus der Vergangenheit erhaltenen Zeugnissen zu beschäftigen und den vielfältigen Bezügen zu unserer Geschichte und Kultur nachzuspüren. Eine Frage des diesjährigen Wettbewerbs hat sich beispielsweise gerade mit Eichendorff und dem in Ratibor an ihn erinnernden Denkmal befaßt. Als Ansporn für gute Leistungen winken Reisen in eines der im Wettbewerb angesprochenen Länder sowie viele schöne Buch- und andere Sachpreise. Könnten, frage ich mich, unsere östlichen Nachbarn, die »auf dem Weg nach Europa« sind, nicht auch Wissen und Verständnis um bzw. für Deutschland, das dabei eine wichtige Mittlerrolle einnimmt, durch einen ähnlichen Wettbewerb fördern?




Erschienen in:
»Kulturpolitische Korrespondenz« Nr. 947 vom 15.9.1995 der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat




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