»Manchmal, mitternächtlich, wenn ich schlief, kehrte ich nach Osten heim, wohin mich’s rief« – mit diesen Worten gab der vor 100 Jahren im schlesischen Liegnitz geborene, 1971 in München verstorbene Schriftsteller Horst Lange seiner Sehnsucht nach der verlorenen östlichen Heimat Ausdruck. Der Osten – wie eine feurige Sage – ging hinter Armeen zugrunde, dichtete ausdrucksstark der seit 1961 in München lebende, letztes Jahr von uns geschiedene Oberschlesier Heinz Piontek.
Den Ruf jener mit Erinnerungen an die Kindheit und Jugendzeit besetzten Orte und Landschaften verspüren alljährlich viele ihrer alten Heimat im Osten beraubte Deutsche. Und seit dem Fall des Eisernen Vorhangs kehren sie nicht nur in Gedanken dorthin zurück und nicht nur, um die »frühere Heimat zu erkunden«. Mich aus der Ratiborer Gegend stammenden Oberschlesier zieht es regelmäßig Anfang März, kaum dass Straßen und Wege vom Eise befreit sind, nach Lubowitz bei Ratibor, dem Geburtsort des Dichters Joseph von Eichendorff, zur traditionellen Feier seines Geburtstags – nach Möglichkeit mit etwas Besonderem im Reisegepäck: diesmal mit zehn Bronze-Reliefs schlesischer Dichter und Philosophen des im Glatzer Bergland gebürtigen, zuletzt im bayerisch-schwäbischen Oberstdorf ansässigen Bildhauers Walter Kalot. Insgesamt hat es der Künstler auf 47 solche Bildnisse, eine stattliche »Dichter-Galerie«, gebracht.
Der in zwei etwa zehn Jahre auseinanderliegenden Schaffensphasen entstandene Relief-Zyklus ist vor zehn Jahren vom Freistaat Bayern angeschafft und der Stiftung Haus Oberschlesien in Ratingen bei Düsseldorf für das im Entstehen begriffene Eichendorff-Zentrum in Lubowitz anvertraut worden. In Ausstellungen dort und bei verschiedenen anderen Einrichtungen ostdeutscher Kulturpflege war er schon zu sehen. Leider konnte man sich im Haus Oberschlesien nur zu einer Leihgabe an das Lubowitzer Kultur- und Begegnungszentrum entschließen, die aber aufgrund der Zollbestimmungen und der hohen Transport- und Versicherungskosten bislang nicht zustandekam. Bei der Gedenkveranstaltung vor zwei Jahren, als Dr. Adolf Kühnemann, der Herausgeber der zweisprachigen (deutsch-polnischen) »Hefte für Kultur und Bildung« des Joseph-von-Eichendorff-Konversatoriums Oppeln, über Leben und Werk einiger schlesischer Dichter und Philosophen referierte, konnten die dazugehörigen Bildnisse lediglich in Dias gezeigt werden. Die Aufnahme Polens in die Europäische Union vor Augen, gab man dem hiesigen Drängen, eine kleine Auswahl von Reliefs auf eigene Verantwortung nach Lubowitz zu bringen, nunmehr nach. Neben den Portraitbildnissen der vor zwei Jahren vorgestellten Persönlichkeiten (Jakob Böhme, Joseph von Eichendorff, August Scholtis, Edith Stein und Dietrich Bonhoeffer) wurden mit Bedacht die Reliefs von Heinz Piontek und Horst Lange, des Philosophen Christian Wolff (1679-1754) sowie der Dichter Friedrich von Logau (1604-1655) und Wenzel Scherffer von Scherffenstein (1603-1674) ausgewählt. Piontek sah sich in dem Bronze-Relief – ein vom Künstler selbst überbrachter Abguß hing in seiner Wohnung – als »letzten Mohikaner« der schlesischen Dichtung.
Es hätte dem beim Eichendorff-Zentrum bestehenden »Wissenschaftlichen Rat« gut angestanden, wenn die besagten Dichter/Philosophen mit den bemerkenswerten Geburts- bzw. Sterbedaten bei der Feier von einem fachkundigen Mitglied aus seinen Reihen gewürdigt worden wären. So aber konnte nur ein Faltblatt mit biographischen Texten aus der von Dr. Detlef Haberland 1997 verfaßten Begleitschrift für die Ausstellung der Kalot-Reliefs ausgelegt werden. Ergänzend dazu brachte ich kleine Proben des dichterischen Schaffens der Genannten zu Gehör: ein »Wahrhaftes Bauerngespräch« Scherffers (Do gieng´s arst weidlich an mit singa, fidaln, pfeiffa,…) und ein paar Sinnsprüche Logaus, wie den bekannten Die nützen Gesetze/ sind künstliche Netze,/ draus Großes entgangen,/ drin Kleines bleibt hangen und Der Himmel liegt gar weit, ist leichte nicht zu finden./ Die Höll ist aber nah, es treffen sie die Blinden; Horst Lange kam in einem Auszug aus dem Gedicht »Der Osten« zu Wort, dem der eingangs zitierte Vers entnommen ist, und Heinz Piontek in dem mit »Lauingen an der Donau« – einer seiner ersten Stationen nach dem Krieg – überschriebenen Gedicht mit dem beziehungsreichen Schluß Morgen vielleicht schon werde ich wie das Wasser sein sowie der an seine Sommerfrische in Riedering am Ammersee, gegenüber dem »Heiligen Berg« Andechs, erinnernden »Fischerhütte« (beide aus der Gedichtsammlung »Indianersommer«). Außerdem konnte ich mitteilen, aus der nachgelassenen Handbibliothek Pionteks von seiner Schwester, Frau Ilse Huth, eine Auswahl von etwa 150 Werken der deutschen, europäischen und Welt-Literatur (samt einigen seiner eigenen Werke) für die im Lubowitzer Eichendorff-Zentrum aufzubauende Bibliothek erhalten zu haben und bei nächster Gelegenheit zu überbringen. Ein paar vorweg ausgehändigte Bücher sollten das Interesse an dem Lesestoff wecken: Pionteks autobiographische Romane »Zeit meines Lebens« und »Stunde der Überlebenden« sowie sein romanhafter Reisebericht »Goethe unterwegs in Schlesien«, ferner Horst Langes Romane »Schwarze Weide« und »Ulanenpatrouille«.
Den Höhepunkt der Feier bildete die Übergabe von elf Tischvitrinen für die Ausstellungsräumlichkeiten des Eichendorff-Zentrums durch Dipl.-Ing. Leo Motzko vom Vorstand des polnischen »Ablegers« der Firma PERI, dem weltweit größten Hersteller von Schalungen und Gerüsten aus dem bayerischen Weißenhorn. Das wertvolle »Geburtstagsgeschenk« ist der Vermittlung des aus Luboschütz bei Oppeln stammenden oberschlesischen Landsmanns und guten Bekannten, seinem Einfluß in der Firma und dem Verständnis der Warschauer Direktion zu verdanken. Die abschließbaren Vitrinen stellen das unverzichtbare sichere »Gehäuse« für die Kalot´schen Dichter-Reliefs sowie anderes wertvolles Ausstellungsgut dar. Die Spendenaktion zeigt zugleich den Weg an, den man angesichts stark rückläufiger öffentlicher Mittel für die ostdeutsche Kulturarbeit »drüben« wird einschlagen müssen, um die aufgebauten Einrichtungen mit Leben zu erfüllen bzw. am Leben zu erhalten: sich verstärkt selbst um Gelder aus der Wirtschaft und von privater Hand zu bemühen.
Eigentlich sollte das Referat des Lubowitzer Ortspfarrers Dr. Heinrich Rzega im Mittelpunkt der Feier stehen und Einblick in seine letztes Jahr abgeschlossene Promotionsarbeit über die religiös-moralischen Werte im Schaffen Joseph von Eichendorffs geben. Er sprach darüber – allerdings zur allgemeinen Überraschung ganz auf Polnisch; insofern wird man die Übersetzung der Arbeit abwarten müssen, um Näheres darüber zu erfahren. Seine Predigt in dem vorangegangenen Gedenkgottesdienst war dagegen, wie gewohnt, zweisprachig; ebenso der prächtige Gesang des Ratiborer Eichendorff-Chors, der auch bei der weltlichen Feier auftrat. Erstmals stellte sich hierbei der noch nicht lange bestehende Eichendorff-Kinderchor ein und bestrickte alle mit seinen frisch und unbekümmert dargebotenen Einlagen. Und anstelle der für gewöhnlich mächtig aufspielenden Blaskapelle war diesmal ein Streichquartett, das Ratiborer ARCO-Quartett, mit einem ansprechenden Programm klassischer Musik und dezenter Salonmusik zu hören, so daß sich’s bei Kaffee und Kuchen nebenbei auch gemütlich plauschen ließ.
Im Nachklang zur letztjährigen Präsentation der zweisprachigen (deutsch-polnischen) »Taugenichts«-Ausgabe gab es in einer kleinen Ausstellung vergrößerte Abzüge der 14 Scherenschnitt-Illustrationen zu diesem Werk von Luise Neupert zu sehen. Gerahmt und hinter Glas werden sie im Kultur- und Begegnungszentrum verbleiben und dem Haus als Wandschmuck dienen – wie die Bilder, die der Graphiker und Architekt Marius Schlesiona seinerzeit für das zweisprachige »Lebensbild« Eichendorffs gezeichnet hat.
Erschienen in:
»Schlesischer Kulturspiegel« 2/2004 der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg