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»So danke ich Breslau,
der Geburtsstadt meines Geistes.«

Gerhart Hauptmann und die Universität Breslau – zu beider Geburts- bzw. Gründungstag am 15. November


Bei dem Festakt zum 300-jährigen Bestehen der Universität Breslau (jetzt Uniwersytet Wroclawski) am 15. November 2002 in der prunkvollen Aula Leopoldina der Hochschule war von einem 60 Jahre zurückliegenden feierlichen Ereignis an gleicher Stelle nicht die Rede: der Ernennung Gerhart Hauptmanns zum ersten Ehrenbürger der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität anläßlich seines 80. Geburts­tags. Den Verantwortlichen der Hochschule scheint dieser Zusammenhang nicht recht bewußt gewesen zu sein. Andererseits zählt ein im Jubiläumsjahr ins Internet gestellter Ab­riß der Universitätsgeschichte (in polnischer und englischer Sprache) den Dichter zu den »während der deutschen Periode der Hochschule mit dem Nobelpreis ausgezeichneten ehemaligen Absolventen und Professoren« – was aber so nicht stimmt; Gerhart Hauptmann hat an der Universität Breslau weder studiert noch jemals gelehrt. So hatte es sich die Hochschule zum 70. Geburtstag des Dichters noch versagt, ihn durch eine vielfach erwartete Ehrenpromotion auszuzeichnen. Als sie ihn anläßlich seines 80. Geburtstags zum Honorarprofessor machen will, »stösst [dies] beim Ministerium auf Schwierigkeiten«. Das geht aus der im Universitätsarchiv eingesehenen Niederschrift über die Sitzung des Senats am 13. Oktober 1942 hervor, auf der die Angelegenheit behandelt wurde. Der neu bestellte Rektor Prof. Dr. Henkel hatte davon drei Tage vorher im Berliner Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung erfahren. Im Protokoll heißt es dazu: » … es ist bestimmt mit einer Ablehnung des von hier gestellten Antrags zu rechnen«. Deshalb einigte man sich auf eine »Ehrung des Dichters in anderer Form«, nämlich auf die Verleihung der Ehrenbürgerwürde »mit dem Recht, bei allen akademischen Feierlichkeiten mit dem Senat einzuziehen«.

Die Ehrenpromotion des Historikers Prof. Dr. Fritz Stern im Rahmen der 300-Jahr-Feier der Universität Breslau, der jetzigen Uniwersytet Wroclawski, am 16. November 2002 in der Aula Leopoldina gab eine Vorstellung davon, wie sich der Festakt zu Ehren Gerhart Hauptmanns seinerzeit vollzogen haben dürfte. Prof. Dr. Günther Grundmann, der letzte Provinzialkonservator der Kunstdenkmäler Niederschlesiens, schildert das Geschehen vom 14. November 1942 in seiner Schrift »Begegnungen eines Schlesiers mit Gerhart Hauptmann «­ als Augenzeuge des Ereignisses folgendermaßen: »Auch für den weniger beteiligten bloßen Zuschauer hinterließ eine solche akademische Feier in der Breslauer Aula stets von neuem einen tiefen und erregenden Eindruck, wenn das leise sich unterhaltende Auditorium, wie auch dieses Mal, nachdem Hauptmann mit seiner Gattin in Begleitung des Gauleiters und des Oberbürgermeisters sowie der Senatoren und Ehrendoktoren Platz genommen hatten, von den Fanfarenstößen überrascht wurde, die im gleichen Augenblick den Raum zu sprengen schienen, in den gemessenen Schrittes der Lehrkörper unter Vorantritt der Rektoren und Dekane (in ihren verschiedenfarbigen Talaren) durch den Mittelgang einzog und durch die sich zur Achtungsbezeugung erhebenden Gäste und Kommilitonen schreitend seine Plätze einnahm.« ... »dieser Glanz der akademischen Versammlung vermählte sich mit dem des reich stuckierten Raumes, dessen Malereien die ihm gezogenen Grenzen ins Unendliche ausweiteten. Er [Hauptmann] aber stand hoch aufgerichtet im einfachen schwarzen hochgeschlossenen Gehrock und schlohweißen Haar inmitten dieses Glanzes still, versonnen schweigend, ehe er seinen Dank in Worte zu fassen vermochte«. »Selten habe ich Gerhart Hauptmann so bewegt gesehen als in dem Augenblick, als ihm durch den Rektor [muß Vertreter des Rektors heißen] die Würde eines Bürgers der Universität verliehen wurde.« Der den (noch nicht ins Amt eingeführten) Rektor vertretende Dekan der Philosophischen Fakultät Prof. Dr. Meißner tat dies mit den Worten: »Wenn ich Ihnen nunmehr diese Urkunde überreiche, tue ich es in dem Bewußtsein, daß sie einem deutschen Dichter verliehen wird, auf dessen Werk das zutrifft, was Sie selber einmal als das Wesen der echten Dichtung bezeichnet haben, daß sie durchdrungen sei vom Hauch einer tiefen Erkenntnis und als ein Werkzeug göttlicher Bildkraft die Schauer der Unendlichkeit in sich trage.«

Darauf folgte die Laudatio des Ordinarius für Neuere deutsche Literaturgeschichte Prof. Dr. Paul Merker. In der Sonntagsbeilage der »Schlesischen Tageszeitung« vom 15. November 1942 ist ein Gerhart Hauptmanns Leben und Werk würdigender Artikel Prof. Merkers abgedruckt, in dem er zusammenfassend feststellt: »Als ein begnadeter Dichter von einer Wandlungsfähigkeit, einer Problemfülle und einem Stilreichtum, wie er in deutscher Dichtung nicht oft zu finden ist, als ein tiefer, an letzte Daseinsfragen rührender Denker und nicht zuletzt als ein wahrhaft großer und gütiger Mensch steht der achtzigjährige Gerhart Hauptmann vor uns.« In Ehrfurcht vor diesem Lebenswerk überreichte er dem Jubilar dann die vom Deutschen Institut der Universität Breslau herausgegebene, im Breslauer Schlesien-Verlag Wilhelm Gottlieb Korn erschienene Festschrift »Gerhart Hauptmann, Studien zum Werk und zur Persönlichkeit«.

Schließlich ergriff der Dichter selbst das Wort: »Ich bin mir bewußt, wo ich stehe und daß ich der Gegenstand einer beinahe märchenhaften Ehrung bin ... Es ist ein weiter Weg, den ich aus einer niederen Klasse der Zwingerrealschule bis hierher gegangen bin. So wie andere Wege von Meilenstein zu Meilenstein, führte der meine von Wunder zu Wunder. So wurde ich eines Tages mit nichts anderem als mit dem Quartaner-Zeugnis liebevoll in die Jenensische Alma Mater aufgenommen. Die Überleitung geschah durch die Breslauer Kunstschule und durch den bildenden Verkehr unter der Studentenschaft ebendieser Friedrich-Wilhelms-Universität, deren unauslösliches Mitglied ich nun geworden bin.« Laut Programm wurde die Feier von Beethovens Streichquartett G-Dur op.18 umrahmt und mit »Führergruß und gemeinsamem Gesang der ersten Strophe des Deutschlandliedes und des Horst-Wessel-Liedes« beendet.

Wie noch angemerkt sei, legte der Germanist, Altphilologe, Hauptmann-Forscher und -Freund Felix A. Voigt als kleine Geburtstagsgabe erstmals die Schrift »Gerhart Hauptmann der Schlesier« in der von Günther Grundmann herausgegebenen Reihe der Schlesien-Bändchen vor; sie gehört – überarbeitet und ergänzt – noch heute zu den lieferbaren Titeln des Bergstadtverlags Wilhelm Gottlieb Korn, Würzburg. Sein »eigentliches Geburts- tagsgeschenk« sah der Dichter jedoch in der von C.F.W. Behl zusammen mit Felix A. Voigt für den Suhrkamp-Verlag besorgten 17-bändigen »Ausgabe letzter Hand« seiner Werke.

Werfen wir noch einen Blick auf die anderen, nichtakademischen Feiern zum 80. Geburtstag Gerhart Hauptmanns. An erster Stelle ist da die Festsitzung im Hirschberger Rathaus zu nennen, die die Stadt ihrem ersten Ehrenbürger ausrichtete, und die sich daran anschließende Aufführung seines schlesischen Volksstücks »Fuhrmann Henschel« im Stadttheater, das auf Hauptmanns Wunsch und mit seiner Beratung von einer Laienspielgruppe aus Agnetendorf, dem Wohnort des Dichters, dargeboten wurde. Die übrigen Feiern konzentrierten sich auf Breslau und Wien, erst Anfang Dezember fand eine »Nachfeier« in Berlin statt. Dazu muß man wissen, daß der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Dr. Joseph Goebbels die deutschen Bühnen angewiesen hatte, sich auf je eine Neuinszenierung eines Hauptmann-Stückes zu beschränken, und im übrigen darauf zu achten bat, den Dichter nicht als Exponent der nationalsozialistischen Welt­anschauung zu bezeichnen; dieses stehe dem auf den Tag gleich alten Weimarer Schriftsteller und Literaturhistoriker Prof. Dr. Adolf Bartels zu. Demzufolge wurde am 15. November 1942 in Berlin sein 80. Geburtstag gebührend gefeiert (ausgerechnet Bartels hatte die erste Biographie des 35jährigen Gerhart Hauptmann verfaßt; sein Hauptbetätigungsfeld fand er jedoch später darin, gegen die jüdischen Einflüsse im deutschen Schrifttum zu polemisieren). Dessenungeachtet glänzten Breslau und besonders Wien mit je einer Festwoche, in deren Rahmen Hauptmann durch Vorträge, Lesungen, Reden, Ausstellungen und Aufführungszyklen seiner Werke geehrt wurde.

Die Breslauer Feiern begannen mit einem Empfang im Remter des altehrwürdigen gotischen Rathauses und endeten am Geburtstag des Dichters, einem Sonntag, im Festsaal des von C.G. Langhans im klassizistischen Stil erbauten Oberpräsidiums in der Albrechtstraße. Seiner Ansprache im Rathaus gab Oberbürgermeister Dr. Hans Fridrich, selbst ein »Waldenburger Kind«, durch Jugenderinnerungen an Hauptmanns Heimat Salzbrunn eine sehr persönliche Note. Nach ihm sprach der Schriftsteller Hans von Hülsen im Namen des Hauptmannschen Freundeskreises und brachte Dank und gute Wünsche in Versen des Dichters zum Ausdruck, die dieser Detlev von Liliencron zum sechzigsten Geburtstag im Jahr 1904 gewidmet hatte:


Du hast mir den Becher oft gefüllt, /
und ich habe Gesundheit und Freude gesogen, /
aber mein Durst ist nie gestillt: /
Bleibe, Winzer, uns weiter gewogen! /

Und dir bleibe Dionysos hold, /
Göttlicher! Guter! und segne die Reben, /
daß sie auch ferner ihr lauterstes Gold /
seinem lautersten Sohne geben.



Ein anderer Schriftsteller überreichte dem Jubilar eine Mappe mit handschriftlichen Geburtstagsgrüßen von 150 deutschen Dichtern und Schriftstellern. Seinen Dank faßte Hauptmann in die Worte: »So danke ich Breslau, der Geburtsstadt meines Geistes ... Das Volk, die Sprache, ist nun einmal des Geistes Mutterschoß. Aber wir treten aus diesem Mutterelement nicht heraus, sondern leben und sterben in ihm ...«

Im Oberpräsidium, wo Felix A. Voigt die Festrede hielt, empfing der Dichter aus der Hand des Gauleiters und Oberpräsidenten Karl Hanke den Niederschlesischen Schrifttumspreis und den Siling-Ring. Der Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach, der gekommen war, um den Jubilar nach Wien zu geleiten, überbrachte den Ehrenring der Stadt, ihre höchste Auszeichnung. Auch der »Führer und Reichskanzler« Adolf Hitler hatte ein bei der Veranstaltung verlesenes Glückwunschtelegramm und als Ehrengabe eine Vase aus der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin gesandt. Einem Freund gegenüber soll Hauptmann dafür nur abfälligen Spott übriggehabt haben. In öffentlicher Rede dankte er für die Ehrenerweise jedoch auf merkwürdige und beklemmende Weise: »Dem gegenüber, was mir hier an Liebe und Ehre entgegengebracht worden ist, ist jeder in Worte gefaßte Dank ohnmächtig und Schweigen beinahe Gebot ... Im übrigen aber habe ich in dieser Welt nichts mehr zu suchen, denn ich habe gefunden. Ich habe alles gefunden und mehr, als man billigerweise von diesem Leben erwarten kann…« Sodann aber sprach er von Hitler als dem »Sternenschicksalsträger des Deutschtums« und bezeichnete ihn als »jene große Willenskraft, auf der heute unser gesamtes deutsches Schicksal ruht« – ähnlich wie er es 1938 unter dem Eindruck des »Anschlusses« von Österreichs getan hatte.

Im Rahmen der Feier wurde auch die Gedächtnisausstellung »Schlesische Dichtung« mit einem eigenen Ehrenraum für Gerhart Hauptmann eröffnet. Hören wir, was Gün­ther Grundmann darüber in seinem genannten Erinnerungsbuch schreibt: »Den Mittelpunkt bildete die biographisch einzigartige Zusammenstellung der Haupt­mannschen Werke der Samm­lung [Max] Pinkus, die inzwischen Bestandteil der Breslauer Universitätsbibliothek geworden war. Die zahlreichen Bildnisse Hauptmanns waren durch zwei neue Arbeiten ergänzt worden, das Portrait von [Paul] Padua ... und die Büste [Arno] Brekers ... Im Treppenhaus aber begrüßte die Besucher eine mädchenhafte Marmorfigur von [Josef] Thorak, aus der Ahnungslosigkeit ihrer Unschuld zum Leben erwachend, aus dem Traum der Unbewußtheit in erste Fraulichkeit ...« Die Hannele-Skulptur kam im Frühjahr darauf als Leihgabe im Park des Hauses »Wiesenstein« in Agnetendorf zur Aufstellung und nimmt dort seit kurzem (als wiederaufgefundener Torso) ihren alten Platz ein. Die Breslauer Gerhart-Hauptmann-Tage fanden auf Wunsch des Dichters mit einer Festaufführung seines Spätwerks »Die Tochter der Kathedrale« im Schauspielhaus ihren Abschluß, das dafür die besten Kräfte aufbot (u.a. Renate Densow und Eva Vaitl, Dieter Borsche und Ernst Kuhr). Darüber hat Grundmann folgendes festgehalten: » ... stand diese Neueinstudierung auf einer sehr beachtlichen Höhe und prägte sich allen Anwesenden tief ein. Wir waren hell begeistert, begeistert von der Anmut der dem Auge sich bietenden Bilder, begeistert von der legendär poetischen Schönheit des Gedankens und dem klangvollen Wohllaut der Sprache, ergriffen von dieser, wie ich es schon einmal sagte, letzten Seligpreisung des Friedens inmitten einer seit Jahren uns umgebenden friedlosen Welt.«

Am nächsten Tag ging es im Salonwagen der Reichsbahn nach Wien, der vielgeliebten Kunststadt, die dem Dichter mit zahlreichen Aufführungen seiner Stücke und einer großen Ausstellung in der Nationalbibliothek und einer kleineren im Foyer des Burgtheaters ihre Reverenz erwies. Die dortige Kaiserliche Akademie der Wissenschaften hatte ihm vorzeiten – innerhalb eines Jahrzehnts um die Jahrhundertwende – gleich dreimal den Grillparzer-Preis verliehen. In einer Gedenkstunde im Burgtheater wurde eine Portraitbüste Hauptmanns von Fritz Behn enthüllt, des aus der Münchener Bildhauerschule hervorgegangenen Lehrers der Wiener Kunstakademie. Generalintendant Lothar Müthel sagte dazu: »Wenn wir heute auf der Feststiege des Burgtheaters neben Hebbel und gegenüber Grillparzer die Büste Gerhart Hauptmanns aufstellen, so gilt diese Ehrung nicht nur dem großen Dichter, sie gilt dem Manne, dessen Erscheinung uns heute fast als Urbild des Dichters anmutet und dessen Antlitz Not und Adel seines Volkes, den Glanz seiner Künder und die Schatten seiner Leidenden trägt.« In einem den Wien-Aufenthalt abschließenden Festakt im Rathaus dankte Hauptmann der Stadt »für eine wunderbare Vergangenheit, die sich wie eine goldene Kette bis heute durch mein Leben hinzieht«. Mit der Ehrenkette der Universität Wien war der Dichter übrigens schon 21 Jahre zuvor ausgezeichnet worden.

Um die historischen Bezüge und die Realität des Krieges nicht aus dem Auge zu verlieren, in dem sich Deutschland dazumal seit über drei Jahren befand: Mit dem Einschluß der Stalingrad-Armee am 22. November 1942, dem Tag der Feier im Wiener Rathaus, begann ein beispielloser Leidens- und Opfergang deutscher Soldaten und die Wende des Krieges im Osten. An der Süd- und Westfront hatte sie sich bereits einige Wochen zuvor durch die Niederlage bei El Alamein angekündigt und war mit der Landung anglo-amerikanischer Verbände im Nordwesten Afrikas eine Woche vor Hauptmanns Geburtstag zur Gewißheit geworden. Und im eigenen Land forcierten zur gleichen Zeit die Geschwister Scholl und ihr Kreis der »Weißen Rose« aus dem Kriegserleben einiger seiner Mitglieder an und hinter der Ostfront den Widerstand gegen das verbrecherische Regime, der ein Vierteljahr später in einer Flugblattaktion in der Universität München kulminierte – wofür sie ihr Leben gaben.







Erschienen in:
»Schlesischer Kulturspiegel« 1/2003 der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg




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