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50.Todestag
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Gedenktafel
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Schülerwettbewerb
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Wiesenstein 1
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Wiesenstein 2
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Nobelpreisverleihung
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70. Geburtstag
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80. Geburtstag
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150. Geburtstag
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»Muttersofa«
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75. Todestag
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Deutsch-polnische Gedenkfeier zum
50. Todestag Gerhart Hauptmanns in Agnetendorf (Jagniątków)



Zum 50. Todestag Gerhart Hauptmanns am 6. Juni 1996 wurde dem Dichter hierzulande ein Kranz von Gedenkveranstaltungen, Konferenzen, Kolloquien, Symposien, Vorträgen, Lesungen, Theateraufführungen, Ausstellungen und Buchveröffentlichungen gewunden. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten bildete die Veranstaltung im Deutschen Theater Berlin am 9. Juni, bei der Bundespräsident Dr. Roman Herzog die Gedenkrede hielt und Intendant Thomas Langhoff zusammen mit einer Reihe namhafter Schauspielerinnen und Schauspieler Hauptmann-Texte vortrugen: Dialoge aus seinen Bühnenwerken, Autobiographisches, Briefe und Gedichte – beginnend mit dem Prolog zur Eröffnung des Deutschen Theaters 1894 unter Otto Brahm (Über neu gefügte Stufen tragen wir das alte Feuer ...) und endend mit dem »Testament« (Schau- spieler sollen mich zu Grabe tragen, nachdem der Vorhang endlich ist gefallen ...). »Mit Gerhart Hauptmann leistete Deutschland erstmals seit langer Zeit wieder einen dauerhaften Beitrag zur Dramenliteratur der Welt«, so der Bundespräsident; und mit Goethe, den Gerhart Hautpmann zeitlebens als einen Leitstern betrachtete, fragte er: »Wenn ein Dichter lebenslänglich bemüht war, schädliche Vorurteile zu bekämpfen, engherzige Ansichten zu beseitigen, den Geist seines Volkes aufzuklären, dessen Geschmack zu reinigen und dessen Gesinnungs- und Denkweise zu veredeln: was soll er denn da Besseres tun?«, um darauf festzustellen: »In diesem Sinne hat Gerhart Hauptmann ... als Dichter und Patriot Bestes getan«.

Nicht minder bemerkenswert, jedoch von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt geblieben, ist dagegen eine Gedenkfeier, die erstmals Deutsche und Polen dort zusammenführte, wo Gerhart Hauptmann 45 Jahre gelebt und gewirkt hat und wo er 1946 verstarb: im »Haus Wiesenstein« in Agnetendorf (heute Jagniątków) bei Hirschberg (Jelenia Góra) zu Füßen des Riesengebirges. Auf Einladung des Vereins zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur (VSK) sowie des Bezirksmuseums und des Norwid-Theaters Hirschberg fand sich am 5. Juni, am Vortag von Fronleichnam, eine große Zahl von Gästen in der stattlichen Villa inmitten eines großen Parks mit altem Baumbestand und mächtigen Findlingsblöcken – Feld- oder Wiesensteine genannt – ein: Repräsentanten des politischen und kulturellen Lebens aus einem weiten Umkreis (darunter Sejm-Abgeordnete und Senatoren), die polnische Presse, Vertreter der Kirchen, Abordnungen der im Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen zusammengeschlossenen Deutschen aus ganz Schlesien. Die meisten der aus Deutschland geladenen Gäste hatten die weite Anreise allerdings gescheut; dafür mischte sich eine deutsche Reisegruppe, die mit dem Bus aus dem Hirschberger Tal heraufgekommen war, unter die Festversammlung. Der Wiesenstein, von dem Berliner Architekten Hans Grisebach in den Jahren 1900/1901 errichtet, ist mittlerweile Ziel vieler Urlauber und Touristen, die diese an Naturschönheiten und baulichen Zeugnissen der Vergangenheit so reiche Gegend aufsuchen.

Die große Empfangshalle des Hauses mit den 1993 aufwendig restaurierten Wandfresken von Hauptmanns Malerfreund Johannes M. Avenarius – ein »schlesisches Paradies« mit Motiven aus dem Werk und der Vorstellungswelt des Dichters – bildete den herrlichen Rahmen für die Feier. Vor den hohen Fenstern ein gleißend heller Sommertag, wie weggeblasen die zuletzt hier vorherrschenden Wolken und Nebel. Vom angrenzenden holzgetäfelten Arbeitszimmer aus, in dem ich noch tags zuvor bis in die Abendstunden eine vom Haus Schlesien vorbereitete Fotoausstellung aufbauen half, zeigte sich hier und da ein Stück des Riesengebirgskamms durch die frischbelaubten Bäume. Die Blicke zog jedoch eine vom Carl-Hauptmann-Haus in Mittelschreiberhau entliehene Büste auf sich, die der Bildhauer Gustinus Ambrosi vom 52-jährigen Gerhart Hauptmann geschaffen hat, sowie ein mit weißem Laken verhängtes Bild an der Wand, das als kleine Überraschung erst bei Eröffnung der Ausstellung am Ende der Feierstunde enthüllt werden sollte.

Dr. Klaus Ullmann, der Vorsitzende des Vereins zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur, hieß die Gäste herzlich willkommen (unter ihnen die Enkelin Anja des Dichters, Tochter seines letzten, hier aufgewachsenen Sohnes Benvenuto) und zitierte zur Einstimmung aus dem »Buch der Leidenschaft«, in dem der Dichter einen Abschnitt seines Lebens – die Hinwendung zu seiner zweiten Frau sowie den Bau und Bezug des »Bergfried« genannten Hauses – in Form leicht verfremdeter Tagebuchaufzeichnungen beschreibt: »Meine Haus meine Burg! ... ich habe meine Heimat wiedergefunden ... Die Wälder, die uns umgeben, sind meine Wälder ... Diese Berge sind meine Berge, mein Himmel ist der Himmel über mir ... Nirgend habe ich mit den Großartigkeiten der Natur im Zarten und Rauhen, im Guten und Argen so verbunden gelebt.« Etwas vom »Geist der Musik«, von dem das Haus nach den Worten Hauptmanns durch das Geigenspiel seiner Frau »beseelt« ist, ließ dann die junge, zierliche Johanna Herman aus Breslau aufblitzen. Einer virtuosen Caprice des polnischen Violinisten und Komponisten Karol Lipinski folgte ein Satz aus dem Violinkonzert Nr. 5 von Henri Vieuxtemps – von Schwester Anete einfühlsam am Klavier begleitet – und zum Schluß die bezaubernde Sarabande aus der Partita Nr. 2 von Johann Sebastian Bach.

Nachzutragen bleibt, daß auch der Direktor des Bezirksmuseums Hirschberg, mgr Stanislaw First (zugleich für seinen Kollegen vom Theater), der Hirschberger Woiwode Janusz Pezda und der deutsche Generalkonsul in Breslau, Dr. Roland Kliesow, Grußworte an die Gäste richteten. Dabei war von der Verbundenheit Gerhart Hauptmanns mit dieser Region die Rede und daß Hauptmann zu Ehren demnächst im Norwid-Theater Hirschberg ein Zyklus von Vorträgen und Theateraufführungen stattfinden werde – in grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit dem Theater Görlitz und dem Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau. Der Woiwode bezog sich u.a. auf die gemeinsame Erklärung des polnischen Ministerpräsidenten und des deutschen Bundeskanzlers bei dessen erstem Staatsbesuch in Polen im Jahr 1989, derzufolge das Haus der Brüder Carl und Gerhart Hauptmann in Mittelschreiberhau zu einem Museum ausgebaut wurde; daraus ergäben sich vielfältige Kontakte, die ebenso wie die heutige Veranstaltung zur weiteren Verständigung und Festigung gutnachbarschaftlicher Beziehungen zwischen unseren Völkern und Staaten beitrügen. Der deutsche Generalkonsul machte u.a. auf die in Vorbereitung befindliche siebenbändige polnische Gesamtausgabe des Werks von Gerhart Hauptmann aufmerksam und gab der Hoffnung Ausdruck, daß das Haus des Dichters bald eine seinem Andenken gemäße Bestimmung finden werde.

Im Mittelpunkt der Feier stand die Ansprache von Prof. Dr. Eberhard G. Schulz, Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung Kulturwerk Schlesien, über »Das Menschenrecht auf Freiheit im Wirken großer Dichter aus Schlesien«. Der Redner sah die Dichtung Gerhart Hauptmanns durchgängig als ein Eintreten für das Menschenrecht auf Freiheit, hervorgegangen aus der festen Überzeugung von der Würde des Menschen und einem tiefen Mitgefühl. Damit befinde er sich in einer langen Tradition schlesischer Dichtung. Ist es bei Andreas Gryphius die Freiheit des Glaubens, bei Friedrich von Logau die Freiheit einer durch schonungslose Selbstkritik erringbaren Herrschaft des Menschen über sich selbst, bei Joseph von Eichendorff die Freiheit zum Träumen, so stehe der Name Gerhart Hauptmann für die Freiheit von ausbeuterischer Unterdrückung sowie von Entmündigung in Politik, Religion und Erziehung. Und in Bezug auf das seinen Landsleuten und ihm selbst drohende Schicksal wörtlich: »Er konnte es nicht fassen, daß Sieger am Ende eines Krieges die Angehörigen des besiegten Volkes aus dem Lande ihrer Väter vertreiben. Ihn selbst hat der Tod davor bewahrt, auch dieses ›Ausrutschen der Weltgeschichte‹ ... noch erleiden zu müssen.« An ein Wort Leonores in Goethes Torquato Tasso anknüpfend (Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder) appellierte Prof. Schulz an das deutsche und das polnische Volk, sich »gemeinsam immer bewußt zu sein, daß ihre Wertschätzung glaubwürdiger Humanität und großer Kulturleistung auch an dem Schicksal gemessen wird, das diesem ›eingeweihten‹ Haus als einer Stätte reinen Strebens nach dem Wahren, Guten und Schönen künftig widerfahren wird«. - Veröffentlicht ist die Rede in der »Kulturpolitischen Korrespondenz« Nr. 979/980 vom 10. August 1996, S. 12-14.

An die dem Dichter seinerzeit von den umliegenden Schulen dargebrachten Geburtstagsständchen erinnernd, sangen Schüler des St. Zeromski-Gymnasiums Hirschberg zwei stimmungsvolle deutsche Lieder – zuerst das bekannte schlesische Volkslied »Und in dem Schneegebirge« und dann die von H. Engel vertonten Eichendorff-Verse »Ich reise übers grüne Land, der Winter ist vergangen...«, die in dem Ruf ausklingen »Schlaf wohl auf stiller Erde, Gott schütz dein Herz, daß es nie traurig werde!«

Namens des VSK und der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft (GHG) bedankte ich mich dafür bei der Leiterin des Chors mit einem im Breslauer Europa Verlag unter dem Titel »Karnawal« (Fasching) erschienenen Band Erzählungen Gerhart Hauptmanns und bei den Schülern mit dem zweisprachigen »Lebensbild« Gerhart Hauptmanns, das Heinz Dieter Tschörtner, ein Mitglied dieser Gesellschaft, verfaßt und die Stiftung Kulturwerk Schlesien (mit finanzieller Unterstützung des Niedersächsischen Innenministeriums) im letzten Jahr herausgegeben hat. Diese Schrift konnte anschließend an alle Anwesenden verteilt werden, getreu dem Zweck der 1952 in Berlin gegründeten Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft, »das Werk und die Persönlichkeit des Dichters den Menschen näherzubringen«. Dazu überbrachte ich die Grüße des Vorsitzenden Dr. Klaus Hildebrandt, eines (gleich mir) in Bayern lebenden gebürtigen Schlesiers, und der uns freundschaftlich verbundenen polnischen Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft Breslau, deren Repräsentanten wegen der Anreise zu einem anderntags in Düsseldorf beginnenden Hauptmann-Symposion leider nicht anwesend waren. Die Geschwister Herman durften sich auf »Das Abenteuer meiner Jugend« freuen, das demnächst im Rahmen der genannten (von einem Mitglied der Breslauer GHG betreuten) polnischen Werkausgabe herauskommen und nachgereicht werden wird.

An die Ansprachen, Gruß- und Dankesworte in der Diele schloß sich die Eröffnung der besagten Fotoausstellung im ehemaligen Arbeitszimmer des Dichters mit Streiflichtern aus seinem Leben an. Dazu wurde vor der Hauptmann-Büste ein in den schlesischen Landesfarben sowie den deutschen und polnischen Nationalfarben geschmückter Kranz niedergelegt. Der jetzigen Hausherrin, Leiterin des hier untergebrachten Heims für erholungsuchende Kinder aus den industriellen Ballungsgebieten des Landes, war es vorbehalten, das als Gastgeschenk mitgebrachte Bild zu enthüllen. Von früheren Besuchen im Haus wußte ich, daß es da einen prächtigen goldenen Bilderrahmen gibt, wohl ein Relikt des ursprünglichen Inventars. Den Rahmen mit seinen 1,50 m auf 1,20 m in angemessener Weise zu füllen, fehlte bisher das nötige Geld. Durch das Entgegenkommen des Gerhart-Hauptmann-Museums in Erkner bei Berlin konnte von einem dort hängenden etwa gleich großen schönen Ölgemälde eine paßgerechte fotografische Wiedergabe angefertigt werden. Es gelang, die Bildtafel unbeschädigt und unbehelligt über zwei Grenzen hierher zu bringen und gewissermaßen hinter dem Rücken der Hausherrin in den Rahmen einzufügen. Dem Betrachter zeigt sich der Dichter in beherrschender Pose, im dunklen Anzug, mit elegant über die Schultern gelegtem hellen Mantel vor einem nahen Gebirgszug; dabei soll es sich um den jenseits des Riesen- gebirgskamms auf der böhmischen Seite gelegenen Ziegenrücken bei Spindlermühle handeln. Das Gemälde stammt von dem 1878 in Ungarn geborenen, später in Wien lebenden Portrait- und Landschaftsmaler Wilhelm Victor Krausz, der viele bekannte Persönlichkeiten seiner Zeit portraitiert und beispielsweise auch mehrmals im Münchner Glaspalast ausgestellt hat. Das Bild ist 1942 in Breslau entstanden, vielleicht zum 80. Geburtstag Gerhart Hauptmanns; der Dichter wurde dort bekanntlich ein letztes Mal öffentlich gefeiert.

Um ein im ehemaligen Bankettraum des Hauses angerichtetes, vom deutschen Generalkonsul mit reichlich Sekt gefülltes Büffet ging die Feier dann stimmungsvoll zu Ende. Es schien, als würde damit nachgeholt, was sich der Dichter in glücklichen Tagen in Rapallo (1935) zu seiner Beerdigung gewünscht hatte: »Und sorgt dafür, daß mir die Leute lachen, die feiertäglich meinen Sarg begleiten.« Eigentlich wollte Hauptmann ja im Park des Wiesenstein die letzte Ruhe finden.

Wie kam es zu dieser Veranstaltung und zur »Öffnung« des Hauses, wird so mancher fragen, der schon einmal vor verschlossener Tür stand oder gar abgewiesen wurde? Auch mir ist es vor Jahren so ergangen. Daraufhin faßte ich den Entschluß, den Wiesenstein auf andere Weise zu »bezwingen«. Ich trat der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft bei, engagierte mich in der Stiftung Kulturwerk Schlesien, wurde Mitglied des Vereins zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur mit seinem Pendant polnischen Rechts in Hirschberg. Dieser Verein hat sich die Pflege und Erhaltung der Kultur Schlesiens in Zusammenarbeit mit polnischen und tschechischen Institutionen zum Ziel gesetzt und möchte bei der weiteren Annäherung zwischen Deutschen, Polen und Tschechen durch gemeinsame Projekte, Übersetzungen, Ausstellungen u.ä. mitwirken. Trotz vielfältiger, von der GHG unterstützter bzw. vom VSK unternommener Bemühungen (bis hinauf zum Auswärtigen Amt) fand das Anliegen, Leben und Werk des großen deutschen Dichters und Nobelpreisträgers im ehemaligen Arbeitszimmer seines Hauses zu vergegenwärtigen, keinen rechten Widerhall. Hieran änderte auch der herannahende 50. Todestag Gerhart Hauptmanns nichts. Das hat u.a. damit zu tun, daß es in der erwähnten gemeinsamen deutsch-polnischen Erklärung offengelassen wurde, wo »die Gedenkstätte für Gerhart Hauptmann auszubauen« sein sollte, und bislang nicht abzusehen ist, wie lange das Kindererholungsheim noch bestehen wird und wie das Haus künftig genutzt werden könnte. In dem genannten Schreiberhauer Museum gibt es auch einen Gerhart Hauptmann gewidmeten Raum, in dem u.a. ein seinerzeit in Agnetendorf zurückgelassener schwerer Eichenschrank steht.

So war zu befürchten, der 50. Todestag Gerhart Hauptmanns würde vorübergehen, ohne daß man mit der Einrichtung eines Gedenkraumes im Wohn- und Sterbehaus des Dichters vorankäme oder seiner dort wenigstens gedenken könnte. Jedenfalls waren bis Anfang des Jahres keinerlei Anstalten in dieser Richtung zu erkennen. In dieser Situation wandte ich mich an den polnischen Botschafter in Köln und den deutschen Generalkonsul in Breslau und suchte die lokalen Behörden zu gewinnen. Als sehr hilfreich erwies sich dabei, daß der VSK in der Hirschberger Gegend bereits gut eingeführt ist und Dr. Ullmann sich vor Ort der Sache annahm. Und noch ein anderer Umstand war für das Gelingen letztlich entscheidend: die Befürwortung durch Herrn Bundesminister a.D. Heinrich Windelen, bis letztes Jahr Ko-Vorsitzender der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit; ihr sind die nötigen Mittel für die Feier und Ausstellung zu verdanken. Mit einem weiteren, durch seine Vermittlung vom Bundesministerium des Innern bereitgestellten Betrag konnte schließlich auch das Arbeitszimmer (Boden, Wände), das den Kindern früher als Aufenthaltsraum diente, für die Ausstellung hergerichtet werden. Dies alles geschah unter großem Zeitdruck. Dankbar vermerkt sei deshalb, daß Prof. Schulz spontan zugesagt hat, die Gedenkrede zu halten, und Mitarbeiter der Stiftung Kulturwerk Schlesien beispielsweise beim Satz und Druck der zweisprachigen Einladungen beigestanden haben.

Die gelungene Gedenkfeier und die dabei erprobte deutsch-polnische Zusammenarbeit eröffnen weitere Perspektiven. Schon die Restaurierung der Avenarius-Fresken markiert einen Wendepunkt in der Einstellung der örtlichen Behörden wie der Heimleitung gegenüber dem Wunsch der Besucher, die Atmosphäre nachzuempfinden, in der der Dichter gelebt hat. Seit einiger Zeit wird regelmäßig vormittags zwischen 10 und 12 Uhr Einlaß gewährt. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß der Betrieb des Heims kein offenes Haus erlaubt und viele Fragen der überwiegend deutschen Besucher unbeantwortet bleiben müssen. Neuerdings hilft dabei jedoch eine kleine, von der Heimleitung im Selbstverlag herausgegebene, schön bebilderte und in Deutsch abgefaßte Schrift. Erfreulich festzustellen war für mich auch, wie bereitwillig man – nachdem der persönliche Kontakt hergestellt ist – auf Anregungen eingeht. Beispielsweise ließ der Bürgermeister von Petersdorf (Piechowice) praktisch über Nacht neue große Schilder anbringen, die den Weg zum »Gerhart-Hauptmann-Haus« weisen. Auch davon, der in Polnisch gehaltenen Gedenktafel am Haus bald einen deutschen Text anzufügen, ist die Rede. Die Gedenkausstellung wurde von vornherein zweisprachig beschriftet; sie kann im übrigen dort bleiben, solange dies gewünscht wird. Wie das Woiwodschaftsamt mitteilt, würde man die Ausstattung des Gedenkraums gern ergänzt und ihre Attraktivität dadurch erhöht sehen. Notfalls müßte mit Kopien von Originaldokumenten und der Nachbildung des einen oder anderen Einrichtungsgegenstandes gearbeitet werden. Schön wäre es natürlich, wenn für diesen Zweck eine Büste des Dichters erworben oder in Auftrag gegeben und beispielsweise ein Abguß von seiner Totenmaske angefertigt werden könnte, die der Bildhauer Ernst Rülke, der letzte Leiter der Bad Warmbrunner Holzschnitzschule in deutscher Zeit, abgenommen hat. Von einer ehemaligen Bediensteten der Familie Hauptmann weiß ich, daß sie sogar bereit wäre, das aus dem Nachlaß von Frau Margarete erhaltene sog. »Muttersofa«, auf das der tote Dichter seinerzeit gebettet wurde (wie alte Fotos zeigen), für den Wiesenstein zur Verfügung zu stellen. Möglicherweise finden auf ähnliche Weise weitere in der Hirschberger Gegend oder anderswo verbliebene Teile der seinerzeitigen Ausstattung den Weg zurück. Der Gedenkraum sollte im übrigen, wie ich meine, keiner in Betracht kommenden anderweitigen Nutzung des Hauses im Wege stehen.

Sehr viel schwieriger wird es dagegen sein, sich darüber klar zu werden, wie das Haus Wiesenstein als Ganzes künftig seiner Bedeutung entprechend genutzt werden könnte, und ein solches Konzept dann zu realisieren. Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker sprach beispielsweise 1987 davon, das Haus zu einer »Internationalen Begegnungsstätte« zu machen, und das Bundes- kanzleramt trat 1992 dafür ein, darin ein »Deutsch-Polnisches Forschungszentrum« zu etablieren. Der frühere Vorsitzende der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft Dr. Gustav Erdmann dachte hinwiederum daran, Begegnungen und Austausch sowie Arbeitsaufenthalte von Wissenschaftlern, Schriftstellern, bildenden Künstlern, Musikern, Theaterschaffenden im Sinne einer »wechselseitigen Erhellung der Künste« zu ermöglichen, wobei ein besonderes Augenmerk der Kulturgeschichte Schlesiens gelten sollte. Anzuraten wäre wohl auch die Verbindung mit einer nahegelegenen Hochschule. In jüngster Zeit wird polnischerseits überlegt, das Haus für ein »Institut für deutsch-polnische Kulturbeziehungen« oder auch ein »Internationales literarisches Zentrum« freizumachen. Die Möglichkeit, für eine anderweitige Unterbringung des Kindererholungsheims Mittel aus dem Zloty-Fonds der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit zu erhalten, dürfte jedoch nicht mehr allzu lange bestehen. Ergänzend dazu müßte aber auch das Haus Wiesenstein mit seiner neuen Bestimmung auf eine sichere finanzielle Grundlage gestellt werden. Keine leichte Aufgabe also! Vielleicht braucht es wirklich hundert Jahre, bis diese Stätte wieder von Wort und Tat des Dichters klingt, um mit Goethe zu sprechen. Bis die »Weihe des Hauses« sich zum 100. Male jährt, sind allerdings nur noch fünf Jahre Zeit!

NB: Spenden oder andere Beiträge zur Ausstattung des Gedenkraums im Haus Wiesenstein, etwa zur Anschaffung einer Büste des Dichters, wären sehr willkommen. Einzahlungen könnten unter dem Stichwort »Wiesenstein« auf das Konto 160 264 1011 des VSK bei der Raiffeisenbank Königswinter, BLZ 370 695 74, oder das Konto 123 033 300 der GHG bei der Deutschen Bank Berlin, BLZ 100 700 00, vorgenommen werden - selbstverständlich gegen steuerlich verwertbare Spendenquittungen.





Erschienen in:
»Schlesischer Kulturspiegel« 4/1996 der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg




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