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Ausstellungs-
Ankündigung

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Ausstellungs-Eröffnung
in Breslau

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Kein Tag ohne Linie…
Radierungen von Christian Mischke in Breslau ausgestellt

Der dem griechischen Maler Apelles, einem Zeitgenossen Alexanders des Großen, zugeschriebene und in der Form »Nulla dies abeat quin linea ducta supersit« (Kein Tag verstreiche, ohne daß wenigstens eine Linie gezogen sei) Plinius d. Ä. in den Mund gelegte Ausspruch könnte als Leitmotiv über dem Schaffen des Grafikers Christian Mischke stehen; mehr als 700 Radierungen sind bislang in seinen Werkverzeichnissen erfaßt. Darauf hat der ehe­malige Oberkonservator der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Rüdiger an der Heiden in seinen einführenden Worten bei Eröffnung der Ausstellung von Mischkes Radier­werk am 13. Mai 2011 im altehrwürdigen Rathaus von Breslau hingewiesen. Eine Auswahl aus dem Schaffen der letzten 40 Jahre war dort bis 12. Juni zu sehen, und sie wird vom 18. November 2011 bis 15. Januar 2012 im Museum des Lebuser Landes im schlesischen Grün­berg (jetzt Zielona Góra) gezeigt werden – der Stadt, in der der Künstler 68 Jahre zuvor geboren wurde.

Aufgewachsen ist Christian Mischke nach dem Krieg in Nürnberg, der Stadt Albrecht Dürers, wo sein Vater, ein Architekt, sich eine neue berufliche Existenz aufbauen konnte. Hier besuchte er das (nachmalige) Martin-Behaim-Gymnasium und ließ sich im Anschluß daran an den Kunstakademien in Nürnberg und München zum Kunsterzieher an Gymnasien ausbilden. Nach der Referendarzeit und einem ergänzenden Studium in München und Wien (letzteres als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD) entschloß er sich 1973 jedoch, als freischaffender Künstler nach München zu gehen. Seine Werke wurden schon bald in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland gezeigt, u. a. auch in mehreren polnischen Städten; in Lodz erhielt er bspw. 1981 sogar eine Ehrenmedaille der dor­tigen Grafikbiennale.

Nachdem ich Christian Mischke und seinen großen Zyklus »Zu Eichendorff« im Eichendorff-Jahr 2007 (dem 150. nach des Dichters Tod) im Grafschaftsmuseums Wertheim bei einer von der Stiftung Kulturwerk Schlesien veranstalteten Ausstellung kennengelernt hatte, wollte ich etwas dafür tun, daß er auch einmal in seinem Geburtsort und in der schlesischen Landes­hauptstadt ausstellen könne (und damit sein heimlicher Wunsch in Erfüllung ginge). Aber gut Ding will Weile haben, wie der Volksmund weiß.

In diesem Jahr war es dann so weit. Eine günstige Gelegenheit für die Eröffnung der Breslau­er Ausstellung bot das (Jubiläums-)Treffen der Deutsch-Polni­schen Gesellschaft der Universität Breslau zu ihrem zehnjährigen Bestehen vom 12. bis 14. Mai 2011. Der Hausherr des Städtischen Museums, Dr. Maciej Łagiewski, begrüßte die dazu erschiene­nen Gäste – Polen wie Deutsche – in der Eingangs-/Bürgerhalle des Rathauses mit den Büsten berühmter (vor­wiegend deutscher) Breslauer und Schlesier; der deutsche Generalkonsul Bernhard Brasack, der die Schirmherrschaft für die Ausstellung übernommen hatte, und Prof. Norbert Conrads vom Vorstand der Universitätsgesellschaft sprachen Grußworte; eine Dolmetscherin des Konsulats übersetzte ins Deutsche bzw. Polnische.

Dem mit Christian Mischke aus München nach Breslau gekommenen Herrn an der Heiden fiel es zu, etwas über den Werdegang des Künstlers, seine Gedankenwelt und seine Antriebs­kräfte sowie die dargebotenen Arbeiten zu sagen. Die deutschen Gäste der Vernissage konnten sich dabei an einem bereits mit der Einladung ausgehändigten Abriß über Leben und Werk des Künstlers orientieren; auf einer zweisprachigen Tafel im Eingangsbereich der Ausstellung waren diese Informationen für alle Besucher zugänglich.

Wie Herr an der Heiden ausführte, zeigen die Arbeiten Christian Mischkes einen sehr persönlichen ›poetischen Realismus‹. Auf Grund vielschichtiger Beziehungen zur Realität versteht er in seinen frühen Arbeiten die Welt als in ständiger Verwandlung begriffen, und so wird die Metamorphose zum Hauptthema dieser Jahre. Der Mensch werde oft nackt, kopflos, in den Gliedmaßen vervielfältigt dargestellt, teils mit aufgerissenem Leib, meist verbunden mit fili­granen Strukturen von blattlosem Geäst; häufig verschmelzen so organische und anorganische Gebilde, Mensch und Natur. Überhaupt ist der Traum eine wichtige Inspirationsquelle für sein Schaffen. Nicht von ungefähr erscheint dem Autor vieler phantastischer Erzählungen Jorge Luis Borges der ›Traum‹ als ›die älteste Kunst‹.

Bewußt greife Mischke auch auf Werke früherer Zeiten zurück: Werke von Albrecht Dürer und Albrecht Altdorfer, Caspar David Friedrich sowie von Max Klinger, dem wirkungsmächtigen Symbolisten. Ihnen sind jeweils eigene ›Kompositionen‹ gewidmet, in der Ausstellung etwa die mit dem Namen »Melencolia II« auf Albrecht Dürer, den Schöpfer des Kupferstichs »Melencolia I«, hindeutenden Radierungen sowie die »Nymphae Danubii«, die durch den Zusatz »Hommage à Albrecht Altdorfer« die Verehrung des Meisters der Donauschule zum Ausdruck bringen.

Zu den frühen Arbeiten des Künstlers, die sich schon durch eine ganz eigene Handschrift auszeichnen, gehören die »Vier Sinne« und die im Nachklang einer Reise nach »Istanbul« – so auch der Titel der Serie – geschaffenen Farbradierungen; letztere offenbaren, welch tiefen Eindruck die Begegnung mit der islamischen Welt und ihrer Kunst auf ihn hatte.

Deutliche Spuren in Mischkes Werk hinterließen Reisen schlechthin – zunächst in die skandinavischen Länder, dann in den Süden und Osten unseres Kontinents, nach Ägypten, Indien und weiter nach Südost- und Ostasien – und die dabei kennengelernten Landschaften, fremden Kulturen und alten Mythen. Die Ausstellung zeigt bspw. die achtteilige Folge »Aus China«, einen Teil der so ge­nannten »Nachtlandschaften« (darunter ein dem »Riesengebirge« gewidmetes Blatt) und 27 seiner 49 phantasievollen, technisch brillanten »Variationen über das Ginkgoblatt«. Bestandteil einer dieser Radierungen ist der gedoppelte Schattenriß Goethes – eingedenk des Gedichts ›Ginkgo biloba‹ aus dem ›West-östli­chen Divan‹, mit dem Goethe das geteilte Blatt des Ginkgobaums (der, von Osten, meinem Garten anvertraut) in die deutsche Literatur ein­geführt und in ihm bekannt hat: daß ich eins und doppelt bin.

Mehrfach habe Christian Mischke sich mit literarischen Texten auseinandergesetzt, wobei es ihm dabei weniger um Illustration denn Interpretation ging. Hier ragt vor allem die für eine Eichendorff-Ausgabe geschaffene 44-teilige Folge von Radierungen unter dem Titel »Zu Eichendorff« heraus, von der zwölf Exemplare ausgestellt sind; hinzu kamen in den letzten Jahren die für einen limitierten Subskriptionsdruck von Thomas Manns Novelle »Unordnung und frühes Leid« entstandenen Grafiken – 13 an der Zahl.

Wie ein roter Faden ziehen sich durch Mischkes Schaffen die von Bücherfreunden in Auftrag gegebenen kleinformatigen, akribisch ausgeführten »Exlibris« (Bucheignerzeichen); von dieser am Ende des 19. Jahrhunderts u. a. von Max Klinger wiederbelebten Kunst­gattung gibt es nicht weniger als 24 Exemplare zu bewundern. Eine mit der Vorliebe des Künstlers für das Kartenspiel zusammenhängende Besonderheit sind die variantenreich gestalteten farbigen Spielkarten; die Anregung dazu ging von einem (nicht vollständig erhaltenen) mittelalterlichen Kartenspiel aus, einer der bedeutendsten frühen deutschen Kupferstichserien. Als kleine Zugabe enthält die Ausstellung schließlich noch einige im Laufe der Zeit entstandene Neujahrskarten, mit denen ein Kreis von Freunden und Bekannten zum Jahreswechsel bedacht wurde.

Nach den Ausführungen von Herrn an der Heiden ergriff Christian Mischke selbst das Wort. Er dankte allen, die das Zustandekommen der Ausstellung ermöglicht haben, und übergab dem Museum als großzügiges Gastgeschenk eine Mappe mit allen Radierungen des Eichendorff-Zyklus’. Für die Anwesenden gab’s zum Schluß ein originelles Erinnerungspräsent: die Ra­dierung einer an einem Lindensamenblatt – das Signet des Künstlers – nagenden Maus auf postkartengroßem Büttenpapier; darunter sein Schriftzug und das polnische Wort für Maus, nämlich ›mysz‹ (myszka heißt übrigens Mäuschen).

Die verglast und gerahmt zur Verfügung gestellten Radierungen waren im sog. Patio, einem an die Eingangshalle des Rathauses angrenzenden kleinen (überdachten) Lichthof, sehr geschmackvoll präsentiert. Es fügte sich gut, daß die Museen der Stadt anderntags die ›Museumsnacht‹ begingen und bis Mitternacht geöffnet hatten. Wie festgestellt werden konnte, erfreute sich die am Rathaus unübersehbar ausgeflaggte Ausstellung von Christian Mischkes Radierungen unter dem Titel »Mit Nadel und Säure« eines lebhaften Zuspruchs – vor allem seitens der Jugend. Als besonderer Anziehungspunkt für viele Besucher erwies sich dabei u. a. die Glas­vitrine, in der die für die Herstellung einer Radierung nötigen Utensilien zu sehen waren.





Erschienen in:
»Kulturpolitische Korrespondenz« Nr. 1310 vom 25. Juli 2011 der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa

»Schlesischer Kulturspiegel« 3/2011 der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg

»Hefte für Kultur und Bildung« Nr. 72 (3. Quartal 2011) des Joseph von Eichendorff-Konversatoriums in Oppeln (zweisprachig deutsch und polnisch)

(mit jeweils geringfügigen Abweichungen gegenüber der hier wiedergegebenen Vorlage).



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