Den nachfolgend wiedergegebenen Vortrag hat Dipl.-Ing. Peter Klotz, der Vorsitzende des Heimatkreisverbandes Kreuzburg/OS e.V., bei der Gedenkveranstaltung zum 195. Geburtstag des »Schlesischen Bienenvaters« Dr. Johann(es) Dzierzon am 9. März 2006 (geboren wurde er am 16. Januar 1811) in der nach ihm benannten Grundschule seines Geburts- und Sterbeortes Lowkowitz bei Kreuzburg (Publiczna Szkola Podstawowa w Lowkowicach im. Ks. Dr. Jana Dzierzona) gehalten. Der weltlichen Feier ging ein Schulgottesdienst für den Verstorbenen in der Lowkowitzer Pfarrkirche voraus, und es wurden Blumen an seinem Grab niedergelegt. Prälat Wolfgang Globisch, der Bischofsbeauftragte für die Seelsorge der Minderheiten in der Diözese Oppeln, eröffnete sodann die Veranstaltung mit einem Vortrag über »Dzierzon als Geistlicher«; darauf folgte das Referat von Peter Klotz; abschließend sprach Frau Prof. Joanna Rostropowicz von der Universität Oppeln über andere große Schlesier aus der Region.
Im weiteren Verlauf des Jahres, das gleichzeitig das einhundertste nach dem Tod des berühmten Mannes war (er starb am 26. Oktober 1906), fanden ihm zu Ehren auch polnischerseits etliche Veranstaltungen statt; Dzierzon wird nämlich von den Polen als einer der ihren angesehen. Ein Museum im nahen Kreuzburg/Kluczbork trägt seinen Namen und verwahrt persönliche Erinnerungsstücke von ihm; eine eigene Abteilung ist der Imkerei gewidmet.
Vortragstext
Die Persönlichkeit eines Menschen wird durch die individuellen Eigenschaften gebildet, die sich durch Persönlichkeitsfaktoren beschreiben lassen.
Mein Referat ist ein Versuch, Johann Dzierzons Streitkultur anhand verschiedener Lebensskizzen zu analysieren. War Dzierzon ein streitbarer Charakter? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir sein Verhalten in bestimmten Lebenssituationen betrachten.
Nachdem Dzierzon 1835 die vakante Pfarrstelle in Karlsmarkt übernommen hatte, genügte ihm bald der Pfarracker nicht mehr, und deshalb kaufte er nach und nach immer weitere Ackerstücke hinzu, auf denen er Landwirtschaft betrieb. Während dieser ersten Jahre seiner landwirtschaftlichen Betätigung hatte er einige Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn. Auch das Domänenamt stand ihm anfangs nicht sehr wohlwollend gegenüber.
Dzierzon geriet in heftigen Streit mit zwei Erbscholtiseibesitzern in den Nachbarorten Karlsburg und Kauern, die sich wiederholt beim Landratsamt beschwerten, dass die schwer beladenen Gespanne des Pfarrers unbefugterweise die Äcker und Wiesen einiger Gemeindebewohner zerfahren hätten. Für Dzierzon war ein in der damaligen Zeit hoch angesehener Erbscholz durchaus keine Person, vor der man Demut zeigen musste. Dzierzon war eine Kämpfernatur und besaß aufgrund seiner Herkunft aus einer Bauernfamilie einen »bäuerlichen Dickschädel«. Er gab in dieser Sache nicht klein bei, sondern setzte sich mit den Erbscholzen auseinander, räumte bestehende Hindernisse aus dem Weg und erreichte in wenigen Jahren ein durchaus gutes Einvernehmen mit den Widersachern.
Beim Ankauf der verschiedenen Grundstücke gab es etlichen Ärger und auch mehrere Gerichtsprozesse. Einer dieser Prozesse wirft ein besonderes Licht auf Dzierzons Auffassung von Recht und von einem Rechtsstaat. 1839 hatte Dzierzon zur Anlage eines Bienengartens ein Ackerstück gekauft und mit seinem direkten Nachbarn zur Begradigung der kurvigen und nicht mehr kenntlichen Parzellengrenzen diesem ein Ackerstück überereignet, das als Kompensation für die Ackerteile gelten sollte, die im Eigentum des Nachbarn standen und nun durch die neue Grenzziehung dem Dzierzonschen Acker zugeschlagen worden waren. Beide Parteien waren sich über diese Verfahrensweise einig. Sieben Jahre später, nachdem Dzierzon die besagte Parzelle mit großen Kosten verbessert sowie mit einem Graben zur Entwässerung und mit einer lebenden Hecke umsäumt hatte, verlangte der Nachbar das ausgetauschte Ackerstück zurück. Obwohl der ehemalige Grenzverlauf nicht mehr zu rekonstruieren war, klagte der Nachbar beim fürstlichen Generalvikaramt, Abtlg. Justizsachen, auf Herausgabe des Ackers. Das Tauschabkommen zwischen Dzierzon und seinem Nachbarn war nur mündlich erfolgt, und es lag kein schriftlicher Vertrag darüber vor. Trotzdem wurde Dzierzon zur Herausgabe verurteilt, und ihm wurden außerdem sämtliche Kosten des Verfahrens auferlegt. Dzierzon bezahlte die Gerichtskosten, obwohl das Gericht dem Kläger aufgegeben hatte, den ehemaligen Grenzverlauf als Bedingung für die Rückübertragung nachzuweisen, was nach der Sachlage gar nicht mehr möglich war. Dzierzon vertraute also darauf, dass das Urteil infolge der Unerfüllbarkeit der gerichtlichen Auflage bezüglich des Grenzverlaufes keinen Bestand haben würde. Doch zu seinem großen Erstaunen erhielt er kurz danach eine Aufforderung zur Zahlung von weiteren 15 Thalern und 10 Silbergroschen für Extrajudikal-Kosten, die dadurch entstanden waren, dass der Kläger des Schreibens nicht mächtig war und die schriftlichen Eingaben von einem Justizangestellten verfassen lassen musste. Hervorzuheben ist, dass der Wert des strittigen Ackerstückes in Höhe der Extrajudikalkosten lag. Dzierzon wandte ein, dass er nicht wegen der Schreibunkunde des Klägers mit Zusatzkosten belastet werden dürfe, da er für dessen Unvermögen keine Verantwortung trage. Der Einspruch wurde jedoch abgelehnt. Zu einer erneuten Verhandlung in dieser Sache vor der nächst höheren Instanz kam es nicht mehr, da der Kläger zwischenzeitlich verstorben war.
Doch die Justiz ließ nicht locker. Als Dzierzon sich auf einer Reise befand, erschien im Karlsmarkter Pfarrhaus ein Gerichtsvollzieher, der die Stubentür von einem Schmied aufbrechen ließ, Schränke und Koffer rechtswidrig durchwühlte sowie anschließend den Kleiderschrank und die beste Kuh nebst einem Kalb pfändete. Dzierzon legte erneut Einspruch ein, jedoch ohne Erfolg. Diese inzwischen zur Justizposse entartete Auseinandersetzung veranlasste Dzierzon, sich an die Presse zu wenden. In der »Allgemeinen Oderzeitung« veröffentlichte er einen Artikel unter der Überschrift »Zur Charakterisierung preußischen Rechts und preußischer Rechtspflege«, in dem er sich mit reichlich Zynismus über die preußische Justiz mokiert und öffentlich vorführt, welche absurden Blüten der Justizapparat hervorbringen kann. Nun schlägt die Justiz noch einmal zu, indem sie zwei Kühe – eine der beiden war tragend – pfänden und diese nach Brieg treiben lässt, obwohl die Tiere in Karlsmarkt hätten verkauft werden können. Die Handlungsweise der Justiz entbehrt insofern nicht der Lächerlichkeit, weil bereits der Verkauf nur einer Kuh direkt in Karlsmarkt mindestens das Doppelte der Extrajudikalkosten ergeben hätte. Dzierzon schlachtet diese Geschichte in seinem Pressebeitrag genüsslich aus, einmal, um die der Bevölkerung unverständliche Handlungsweise der preußischen Justiz vorzuführen, zum anderen sicherlich auch, um sich für das nach seiner Meinung ungerechte Urteil und für die ungerechtfertigten Zusatzkosten sowie die Art und Weise seiner Behandlung zu rächen. Die Einschaltung der Presse und damit der Öffentlichkeit erforderte durchaus Mut. Dzierzon schließt seinen Artikel mit den Sätzen: »O du Freiheit der Rede und der Presse! Obgleich zu manchem schlechten Zwecke gemißbraucht, welch ein köstliches Geschenk bist du! Mögen alle Rechtsverdreher sich beschwören, einen Unschuldigen zu unterdrücken, du vermagst als Leiterin der Volksstimme, welche sprichwörtlich Gottes Stimme ist, ihr zum Siege zu verhelfen.«
Dzierzon hat sehr schnell begriffen, welchen Einfluss die Presse und das geschriebene Wort
entfalten können. Als seine revolutionäre Theorie von der Parthenogenese von den konservativen Kräften der Imkerverbände scharf als unzutreffend und unhaltbar zurückgewiesen wurde, gab Dzierzon in der Zeit von 1848 bis 1856 das Monatsblatt »Der Bienenfreund aus Schlesien« heraus, das er als Plattform für die Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern nutzte. Er resignierte wegen der Ablehnung seiner Entdeckung in keiner Weise, sondern nahm den Kampf mit anerkannten und angesehenen Imkergrößen auf, weil es zutiefst von der Richtigkeit seiner Theorie überzeugt war.
In einer anderen Angelegenheit befasst sich Dzierzon erneut mit der preußischen Justiz, über die er folgendes schreibt: »Wenn ein unbefangener Naturmensch manche Prozeduren unserer Rechtspflege betrachtete, es wäre nicht zu verwundern, wenn er auf den Gedanken verfiele, das Heer derselben sei zu dem Zwecke aufgestellt, die Erlangung des Rechts möglichst zu erschweren, möglichst weit hinauszuschieben, oder gar unmöglich zu machen.« Als Beispiel führt er den Prozess der Karlsmarkter Kirchengemeinde gegen die königliche Regierung in Breslau an, die gegen den Wortlaut des geltenden Urbariums (damaliges Grundbuch) verstoße, indem sie ihren darin fixierten Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Der Prozess wird zwar nach vier Jahren von der Gemeinde gewonnen, doch dauert es noch einmal mehr als drei Jahre, bis die Regierung ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommt, weil die Justiz von den betroffenen Eigentümern und deren Kindern eine eidesstattliche Erklärung verlangt. Einige der Kinder sind wegen Wegzugs aus der Gemeinde Karlsmarkt nur schwer oder aber erst nach langen Recherchen ausfindig zu machen. Dzierzon sagt zu dieser, nach seiner Meinung unzumutbaren Verzögerung: »Was kümmert die Justiz die Notlage der Betroffenen, ob sie verhungern oder ihre Wirtschaft verlieren. Die Justiz handelt nach dem Motto: „Fiat Justitia – pereat mundus« (Es geschehe Gerechtigkeit – auch wenn die Welt untergeht). Sie protokolliert, kopiert, dekoriert und liquidiert Gebühren fort. Sie hat immer den besten Teil der Kuh erwählt. Sie melket sie recht emsig fort, bis sie zum Gerippe abgemagert und reif für die Grube ist.«
Kurz vor seiner Amtsniederlegung verklagte Dzierzon den Karlsmarkter Dorfscholzen – einen Grobschmied – weil dieser wegen eines Streites, den Dzierzon aufgrund äußerlicher Angelegenheiten hatte, öffentlich äußerte: »Es wäre besser, wir hätten keinen Pfarrer, als einen Pfarrer wie Sie.« Dzierzon verklagte daraufhin den Scholzen, der vom Kreisrichter jedoch freigesprochen wurde, weil die Aussage nach dessen Auffassung keine Beleidigung sei. Dzierzon veröffentlichte sofort in der »Brieger Zeitung« dazu seinen Beitrag und schloss mit der Bemerkung: »Es wäre besser, wir hätten keinen Kreisrichter, als den Herrn Kreisrichter K.«. Der Staatsanwalt erhob darauf Anklage gegen Dzierzon wegen Beleidigung eines Beamten im Amt. Dzierzon verteidigte sich selbst mit folgenden Ausführungen:
Einst zerriss der Hund eines Bauern die Kuh des Edelmannes. Der Bauer ging zum Edelmann und sagte ihm: »Ich muß melden, dass Ihr Hund meine Kuh zerrissen hat.« »Was kann ich für meinen Hund«, erwiderte jener, »warum bewachst du deine Kuh nicht besser?« »Ich habe mich versprochen«, fuhr der Bauer fort, »mein Hund hat Ihre Kuh zerrissen.« »Ja«, entgegnete der Edelmann, »ja, Bauer, das ist etwas anderes, da mußt du sie bezahlen.«
Das Publikum spendete lauten Beifall nach dieser Verteidigungsrede Dzierzons vor Gericht, aber dennoch wurde er zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Dzierzon bekam jedoch vom König Amnestie.
Auch auf seinem ureigenen Gebiet der Religion zeigte sich Dzierzon als ein nicht gerade einfacher Mensch. Als 1869/1870 auf dem Vatikanischen Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes als Dogma verkündet wurde, gab es eine Gruppe katholischer Geistlicher – sogenannte Altkatholiken – , die sich weigerte, diesen kirchlichen Glaubenssatz anzuerkennen – u. a. auch Dzierzon. Er schreibt dazu in seinen Erinnerungen:
»...weil ich meine Vernunft nicht unterwerfe, mich nicht zum Automaten herabwürdigen wollte und daher den neuen Dogmen von der Unfehlbarkeit und dem Universalepiskopat des Papstes unmöglich zustimmen konnte, wendete sich der Haß und die Verfolgungssucht der Fanatiker gegen mich. Ich wurde selbst in Zuschriften der geistlichen Behörden als Abtrünniger bezeichnet, und der Erzbischof Dr. Förster entzog mir die kleine Pension, die ich, nachdem ich 1869 resigniert hatte, aufgrund eingezahlter Beträge bereits einige Zeit bezog, mußte sie mir aber, in allen Instanzen verurteilt, später mit Zinsen bis zum Tage nachzahlen.«
Dzierzon war durchaus ein streitbarer Mensch. Die Allmacht des Staates, anmaßendes Verhalten von Amtsinhabern und das oft rigorose Vorgehen gegen die sogenannten »kleinen Leute« waren ihm ein Dorn im Auge. Sein Kampf gegen vermeintliche ungerechte Behandlung hatte teilweise querulatorische Züge. Hartnäckigkeit und Unbeugsamkeit, die ihn auszeichneten, waren zweifellos durch seine bäuerliche Herkunft geprägt. Um die Anerkennung der Wahrheit, wie am Beispiel der von ihm entdeckten Parthenogenese, oder um der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, scheute Dzierzon keine Auseinandersetzung. Dabei blieb er im Ton in der Regel sachlich, verfocht seine Auffassung jedoch mit großem Nachdruck. Wahrheit und Gerechtigkeit waren für ihn hohe und erstrebenswerte Güter, für die es sich zu kämpfen lohnt. Diese Maxime bekräftigt er in seiner Selbstbiographie, in der es heißt: »Wahrheit zu erforschen, ist des Menschen würdigstes Bestreben, Wahrheit gefunden zu haben, der schönste Lohn.«