Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Dieser zart-schwebende, erd-entrückte Vers von Joseph von Eichendorff aus seiner bezaubernden Mondnacht stand über der Todesanzeige, die mich – unglücklicher Umstände wegen – erst zwei Wochen nach dem Hinscheiden von Dipl.-Ing. Leo Motzko, eines lieben Weggefährten und Eichendorff-Verehrers aus glücklicheren Tagen, erreichte. Nach langer, schwerer Krankheit, die er mit Geduld und Würde ertrug – heißt es in der Todesnachricht – hat Gott ihn am 15. Mai 2017 zu sich gerufen. Und weiter: Die Trauerfeier und das Begräbnis finden am Freitag, den 19. Mai 2017, um 11:00 Uhr auf dem Friedhof in Langen … statt (in der Nähe von Langen, einer südhessischen Stadt zwischen Darmstadt und Frankfurt am Main, lebte Leo Motzko mit seiner Frau Edith).
Leider war es mir aus besagtem Grund nicht möglich, dem Verstorbenen das letzte Geleit zu geben und vor der Trauergemeinde seine großen ehrenamtlichen Verdienste in Erinnerung zu rufen. Deshalb will ich dies hier tun sowie seinen Lebensweg kurz skizzieren. Herrn Motzkos berufliches Wirken hat – wie ich erfahren konnte – Frau Christl Schwörer, die Seniorchefin des Unternehmens, dem er über 35 Jahre lang angehörte, in beeindruckender Weise gewürdigt. Sie hat mir das Manuskript ihrer Trauerrede überlassen und anheimgegeben, davon Gebrauch zu machen. Aus Respekt vor dem geschlossenen Ganzen möchte ich aus der Rede nicht auszugsweise zitieren, sondern sie nachfolgend ungekürzt wiedergeben.
Zunächst aber eine kurze Schilderung des Lebenswegs von Leo Motzko:
Er wurde am 11. April 1929 in Biadacz (von 1936 bis 1945 Kreuzwalde) im Kreis Oppeln als eines von vier Kindern eines kriegsversehrten Steinsetzers geboren. In seinem Heimatort besuchte er die Volksschule und wechselte im Alter von 10 Jahren aufs Deutsche Gymnasium in Oppeln, das er kriegsbedingt jedoch nicht mit dem Abitur beenden konnte; nach mühsamem Erwerb der polnischen Sprache erlangte er einen vergleichbaren polnischen Schulabschluss. Parallel dazu hatte er die Arbeit in einem Architekturbüro aufgenommen. Anschließend trat er in eine Baufirma ein, bildete sich fort, studierte nebenher auf dem Zweiten Bildungsweg Bauwesen an der Technischen Hochschule Gleiwitz und schloss das Studium 1965 mit dem Diplom eines Hoch- und Tiefbau-Ingenieurs ab. In der Folge wurde er von der Hochschule zu einem einjährigen Studienaufenthalt nach Schweden geschickt, um neue Methoden der Schalungstechnik kennenzulernen. Sodann sammelte er Erfahrungen als Bauleiter im eigenen Land.
Bereits von 1952 an hatte Leo Motzko für den Lebensunterhalt der in diesem Jahr gegründeten Familie mit den 1953, 1957 und 1959 geborenen Söhnen aufzukommen, deren jüngster im Alter von 5 Jahren auf tragische Weise durch einen Verkehrsunfall ums Leben kam. Aufgrund seiner vielfältigen Verbindungen ins »sozialistische Schweden« erhielt er 1973 die Erlaubnis, seinen Medizin studierenden ältesten Sohn dorthin zu begleiten, damit er Einblick ins Gesundheitswesen jenes Landes gewinnen konnte. Von dieser Reise kehrten Vater und Sohn nicht mehr in ihre Heimat zurück, sondern setzten sich in die Bundesrepublik Deutschland ab, wo sie Aufnahme im hessischen Landesflüchtlingslager Langen fanden.
Im Jahr darauf bekam Leo Motzko eine feste Anstellung bei der erst wenige Jahre zuvor im bayerisch-schwäbischen Weißenhorn bei Neu-Ulm gegründeten Firma PERI*, einem innovativen Hersteller von Schalungen, Gerüsten und damit verbundenen Ingenieurleistungen. Das Familienunternehmen ist inzwischen mit über 8.000 Mitarbeitern in mehr als 60 Tochtergesellschaften weltweit tätig; Leo Motzko trug entscheidend dazu bei, dass es insbesondere im osteuropäischen Raum Fuß fassen konnte. 1976 gelang es ihm, eine zufällige Begegnung mit Willy Brandt in Berlin nutzend, über den mit diesem befreundeten polnischen Regierungschef Edward Gierek, seine Frau und seinen zweiten Sohn zu sich zu holen – ihr reguläres Ausreiseersuchen war bereits abgelehnt worden.
Leo Motzko wurde nach den Worten der Witwe des Unternehmensgründers Artur Schwörer zu einer »Institution« der Firma, für die er bis zur Vollendung des 80. Lebensjahrs aktiv tätig war; kurz darauf setzte ihn ein Schlaganfall außer Gefecht. Sein Sohn Christoph hat den Berufsweg des Vaters eingeschlagen und es zum Professor (zeitweise Vizepräsidenten) der Technischen Universität Darmstadt gebracht, wo er als Geschäftsführender Direktor das Institut für Baubetrieb leitet. Aus dem am schwedischen Gesundheitswesen »interessierten« Medizinstudenten Waldemar Motzko ist ein in Bad Soden niedergelassener Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Stimm- und Sprachstörungen geworden, der auch an den Kliniken des Main-Taunus-Kreises in Bad Soden und der Main-Taunus-Privatklinik tätig ist und sich in der ärztlichen Standesorganisation engagiert.
Hier, wie angekündigt, die Würdigung der beruflichen Leistungen Leo Motzkos aus berufenem Munde, durch Frau Christl Schwörer, die Mutter des jetzigen Geschäftsführenden Gesellschafters der PERI GmbH Alexander Schwörer:
»Es ist ein trauriger Anlass, der mich heute hierhergeführt hat. Wir müssen Abschied nehmen von Leo Motzko. Mir ist es ein großes Bedürfnis, diesen bemerkenswerten Mann und Mitarbeiter heute zu würdigen und ihm auch in dieser Stunde Danke zu sagen für seine nimmermüde, über 35 Jahre währende erfolgreiche Arbeit für PERI, für seine fruchtbare Aufbauleistung, für seine Aufrichtigkeit, seine Kollegialität und seinen Mut, neue Ziele in Angriff zu nehmen. Für meinen Mann und mich war er wie ein Freund und für PERI eine Institution.
Wenn ich zurückblicke auf den gemeinsamen Weg von Leo Motzko und PERI, dann fällt mir ein, dass er, als er nach seiner Flucht aus Polen über Schweden in Deutschland ankam, sich hier sofort mit einem handgeschriebenen Brief bei PERI bewarb. Der Nachtrag in dieser Bewerbung lautete: ›Im Übrigen schreibe ich für den deutschen Kicker Berichte über die oberschlesische Fußballliga‹. Das weckte das Interesse unseres damaligen Vertriebsleiters Erich Brosch, und er fuhr in die Flüchtlingsbaracke, wo Herr Motzko untergebracht war, um diesen Mann kennen zu lernen. Das Vorstellungsgespräch verlief äußerst positiv und Erich Brosch schlug meinem Mann umgehend vor, ihn vor allen anderen Kandidaten zu nehmen. So stieß Leo Motzko am 18. Februar 1974 zu PERI.
Sein erster Einsatz erfolgte auf der Baustellte des [Schweizer] Kernkraftwerks Gösgen. Ich erinnere mich, wie erleichtert – ja erlöst – mein Mann damals war, als er die Bauleitung dieses schwierigen Projekts in die Hände von Herrn Motzko legen konnte, der ja schon in Polen Erfahrung und Kompetenz als Bauleiter erworben hatte. Das für PERI so wichtige Bauvorhaben Gösgen verlief ab diesem Moment reibungslos und brachte unser Unternehmen ein großes Stück weiter auf dem Weg in die Internationalität. Es folgten rasch weitere Großprojekte, die Leo Motzko für PERI erkämpfte und betreute. Wo immer er hinkam, konnte er Freundschaften schließen und Beziehungen knüpfen. Er konnte mit Menschen umgehen und er hatte ein besonderes Gespür fürs Geschäft. Zwischen meinem Mann und ihm herrschte stets ein großes gegenseitiges Vertrauen, das Leo Motzko durch seinen Einsatz für PERI im Laufe der Jahre nicht nur immer wieder bestätigen sondern auch weiter vertiefen konnte. Sie haben sich einfach gut verstanden und verfolgten zusammen das gleiche Ziel: das Wohl von PERI und PERI in die Welt zu tragen.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 schlug seine große Stunde. Unerschrocken machte sich Leo Motzko auf, auch d i e Länder für PERI zu erobern, in die manch anderer nicht so gerne gereist wäre. Er, der Mann von Welt, scheute sich überhaupt nicht, z. B. ganz alleine auf einer Messe in Bukarest zu stehen, um dort PERI zu präsentieren. Auf seine Initiative und sein Engagement gehen maßgeblich die Gründungen der Tochtergesellschaften in Tschechien, in der Slowakei, in Rumänien, in Ungarn, in der Ukraine, in Russland und natürlich vor allem in Polen zurück. Zusammen mit dem Geschäftsführer Wiktor Piwkowski und nach dessen Ruhestand mit Michal Wrzosek führte er PERI Polen ausdauernd in die Spitzengruppe aller PERI-Tochtergesellschaften.
In tiefer Liebe blieb er sein Leben lang diesem Land und vor allem seiner Heimatregion Oberschlesien verbunden. Dabei lag es ihm stets am Herzen, das gegenseitige Verständnis zwischen unseren beiden Nationen Deutschland und Polen zu stärken. Das ist ihm innerhalb der PERI-Familie mit Sicherheit großartig gelungen.
Einer, der so stark mit der Firma und seinen Aufgaben verwoben ist, denkt nicht ans Aufhören. Und so hat Leo Motzko weitergemacht, auch noch nach seinem so genannten Abschiedsfest zum 65. Geburtstag. Und – und das möchte ich ganz besonders betonen – er hat sehr erfolgreich weitergemacht. Erst seine Erkrankung im April 2009 beendete seinen Arbeitsweg bei PERI.
Leo Motzko, der Grandseigneur und Visionär, war ein Mann mit einem untrüglichen Gefühl für den richtigen Zeitpunkt, um für PERI zu handeln. Er hat einen wesentlichen Teil zum internationalen Erfolg von PERI beigetragen und ein Stück PERI-Geschichte mitgeschrieben. Mit ihm verlieren wir einen der wichtigsten Mitarbeiter seiner Zeit und einen guten Freund. Wir sind ihm zutiefst dankbar und werden ihn nie vergessen.«
Schließlich sei auf das mäzenatische Engagement Leo Motzkos in seiner oberschlesischen Heimat näher eingegangen:
Leo Motzkos Standing in der Firma und dem Verständnis ihrer Leitung ist es zu verdanken, dass verschiedene mit dem Namen Eichendorffs verbundene Vorhaben in der Heimat des Dichters durch respektable Zuwendungen unterstützt und dadurch vielfach erst realisiert werden konnten. Die nachfolgend aufgezeigten Leistungen wurden im Jahr 2010 von der Stiftung Oberschlesisches Eichendorff-Kultur- und -Begegnungszentrum Lubowitz durch die Verleihung der Ehren-Medaille honoriert: