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Deutscher Intellektueller in Oberschlesien
Dr. Adolf Kühnemann verstarb in Oppeln/Opole


Du bistʼs, der, was wir bauen,
mild über uns zerbricht,
dass wir den Himmel schauen –
darum so klag ich nicht.

(Strophe 4 aus Joseph von Eichendorffs Gedicht
Der Umkehrende Nr. 4 von 1837)

Am 16. Januar 2017 verstarb kurz vor Vollendung des 83. Lebensjahrs Dr. Adolf Kühnemann, langjähriger Vorsitzender des »Joseph-von-Eichendorff-Konversatoriums« Oppeln/Opole und Chefredakteur der von ihm zweisprachig – auf Deutsch und Polnisch – herausgegebenen »Hefte für Kultur und Bildung«/»Zeszyty Edukacji Kulturalnej«; auf dem nahe seiner Wohnung gelegenen Friedhof im Oppelner Stadtteil Grudzice (früher Grudschütz resp. Gruden) wurde er drei Tage später beigesetzt.

Das »Joseph-von-Eichendorff-Konversatorium« ist ein kurz nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« (bereits im Dezember 1989) ins Leben gerufener, die Tradition der Oppelner »Eichendorff-Gemeinde« aus der Vorkriegszeit fortsetzender Verein. 1995 hat Herr Dr. Kühnemann, »profunder Kenner der schlesischen Fragen und Übersetzer« sowie produktiver Autor, den Vorsitz in diesem Gesprächskreis vom Gründungsvater Fryderyk W. Kremser übernommen. Die Aufgabenstellung des Vereins beschreibt er folgendermaßen: Das Konversatorium veranstaltet Symposien, Treffen, die wichtigen Problemen gewidmet sind, und es strebt vor allem danach, Interessierten eine dauerhafte Informationsbasis sowie kulturelle Erlebnisse in Form von verantwortlicher (solider) Information und der in der Vierteljahresschrift [gemeint sind die Hefte für Kultur und Bildung] veröffentlichten Literatur sowie Buchveröffentlichungen zur Verfügung zu stellen.

Dass Dr. Kühnemann und der von ihm geleitete Verein diesem vielfältigen Anspruch gerecht geworden ist, lässt sich den Referaten entnehmen, die auf einer im November 2012 stattgefundenen Konferenz anlässlich des Erscheinens von Heft 75 (für das 2. Quartal 2012) gehalten wurden; sie sind in Heft 78 (für Januar bis März 2013) dokumentiert. Die jeweils 150 und mehr Seiten umfassenden Quartals-»Hefte« im handlichen Buchformat – um mich darauf zu konzentrieren – sind eine Fundgrube historischer, kirchen-, kunst- und wissenschaftsgeschichtlicher, literarischer, sprachwissenschaftlicher, ethnographischer und biographischer Beiträge; Buchbesprechungen und Rezensionen finden sich ebenfalls darin. Neben Originalveröffentlichungen kommen auch Texte aus maßgeblichen deutschen Zeitschriften und Zeitungen zum Abdruck; ich habe der Redaktion manchen interessanten Artikel aus der deutschen Medienwelt zugänglich gemacht und den einen oder anderen eigenen Beitrag überlassen.

Nach den Worten der Lehrstuhlinhaberin für Literaturtheorie und vergleichende Literaturwissenschaft am Institut für Germanistik der Schlesischen Universität in Kattowitz/Katowice, Prof. Grażyna B. Szewczyk (in besagtem Heft 78), legten die Redakteure der Zeitschrift eine Grundlage für den polnisch-deutschen Dialog über die Vergangenheit und Gegenwart des gesamten oberschlesischen Gebiets. Ihr Verdienst war es, nicht nur die Erinnerung an das Vergessene, Tabuisierte, Gefälschte und durch die Ideologie der vergangenen Zeit Verzerrte wachzurufen, sondern auch unter dem zunehmenden Leserkreis das Interesse an der deutschen Literatur und an verschiedenen Formen kultureller Aktivität in Schlesien, am Phänomen der Multikulturalität […] sowie an den Identitätsproblemen […] zu wecken.

Mit dem aus wenigen Personen bestehenden Redaktionsteam hat Herr Dr. Kühnemann in den 21 Jahren von 1995 bis 2015 – unter Mithilfe seiner (damit nicht in Erscheinung tretenden) Frau bei der Übersetzungstätigkeit – 72 umfangreiche, ansprechend bebilderte Quartals-Bände herausgebracht (in den Jahren 2013, 2014 und 2015 jeweils nur e i n e n Band, 2016 keinen mehr). Finanziell gefördert wurden diese Publikationen durchgehend vom Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Breslau/Wrocław sowie polnischerseits nacheinander vom Ministerium für Kultur, vom »Büro für Kultur der Minderheiten« der Ministerien für Kultur und Kunst bzw. für Kultur und Nationales Erbe sowie vom »Departement Konfessionen und Nationale und Ethnische Minderheiten« des Innen- und Verwaltungsministeriums, neuerdings des Ministeriums für Verwaltung und Digitalisierung (bis 2012).

Bis 2002 wurde Herr Kühnemann durch die nachmalige Professorin am Historischen Institut der Universität Oppeln, Frau Joanna Rostropowicz, als stellvertretende Chefredakteurin unterstützt; ab 2003 gibt sie für das Oberschlesische Eichendorff-Kultur- und -Begegnungszentrum in Lubowitz das ebenfalls viermal im Jahr erscheinende zweisprachige Periodikum »Eichendorff-Hefte« (Geschichte – Kultur – Literatur) nach bekanntem Vorbild heraus.

Aufgrund der verdienstvollen Vermittlerrolle, die Dr. Kühnemann für das deutsch-polnische Verhältnis und Verständnis einnimmt, hatte ich verschiedentlich versucht, ihn für eine Auszeichnung durch die Bundesrepublik Deutschland vorzuschlagen; dies war bedauerlicherweise nicht möglich, da er es in seiner Bescheidenheit nicht für opportun hielt und mir den dafür erbetenen Lebensabriss nicht zukommen ließ. Für den vorliegenden Beitrag musste ich den Werdegang deshalb seiner kaum Deutsch sprechenden Witwe (über Mittelspersonen) entlocken.

Geboren wurde Adolf Kühnemann am 8. Februar 1934 in Schwientochlowitz, einer westlich von Kattowitz gelegenen Industriestadt im oberschlesischen Kohlerevier, die 1922 – entgegen dem Ergebnis der Volksabstimmung im Jahr zuvor – an Polen abgetreten werden musste. Im Alter von zwei Jahren verlor er seine Mutter und wuchs bei deren Schwester auf, da sich der Vater, ein Hüttenarbeiter, wieder verheiratete. In der nahen (ebenfalls an Polen gefallenen) Stadt Königshütte besuchte Kühnemann die Volksschule und wechselte 1948 auf das Technikum für Handel, wo er 1952 die Studienberechtigung erlangte. Im Anschluss daran studierte er bis 1956 an der Höheren Volkswirtschaftsschule in Posen und schloss sie als Magister der Ökonomie ab.

Zunächst fand er eine Beschäftigung in der Wojewodschafts-Kommission für Wirtschaftsplanung in Oppeln. 1958 heiratete er die beim Studium kennengelernte Mitstudentin/-absolventin Teresa Witkowska; aus der Ehe gingen eine Tochter und ein Sohn hervor (die beide in Deutschland leben). Von 1961 bis 1968 nahm er an einem Promovierungsseminar am Schlesischen Forschungsinstitut in Oppeln teil. Mit einer Arbeit über »Dynamik und Einkommen der Bevölkerung der Wojewodschaft Oppeln« wurde er 1970 an der Ökonomischen Akademie in Kattowitz zum Doktor der Volkswirtschaft promoviert.

Ab 1972 war Dr. Kühnemann am Schlesischen Institut in Oppeln tätig, wo er sich schwerpunktmäßig mit den Lebensbedingungen der Bevölkerung in der Wojewodschaft beschäftigte. 1989 fand er eine Anstellung als akademischer Lehrer am Lehrstuhl für Ökonomie der Universität Oppeln. Daneben empfand er das Bedürfnis, die Öffentlichkeit an seinem Wissen um die Kultur der Oppelner Region teilhaben zu lassen. Um sich dieser Aufgabe voll und ganz widmen zu können, übernahm er die Leitung des Joseph-von-Eichendorff-Konversatoriums und gab die Hochschullaufbahn 1996 auf. Daneben versah er bis 2012 einen Lehrauftrag an der Höheren Schule für Verwaltung und Bankwesen in Breslau.

In Anerkennung seines unermüdlichen Engagements bei der Verbreitung des Wissens um die kulturellen Traditionen seiner Region erhielt Dr. Kühnemann im Dezember 2015, ein gutes Jahr vor seinem Tod, aus der Hand des Marschalls der Wojewodschaft Oppeln den Preis »Arte Laureato« in Form eines Diploms mit Preisgeld und einer Bronzefigur.

Ebenso wichtig wäre ihm indes gewesen, dass die Vereinsarbeit engagiert fortgesetzt wird und die Hefte des Periodikums für Kultur und Bildung weiter erscheinen können. Gerade dies ist aber mittlerweile immer ungewisser; bislang hat sich jedenfalls niemand gefunden, der dazu bereit und in der Lage wäre. Gut, dass es da noch die ähnlich ausgerichteten Eichendorff-Hefte des Oberschlesischen Eichendorff-Kultur- und -Begegnungszentrums gibt!

Erschienen in:
»SCHLESIEN HEUTE« 4/2017, Senfkorn-Verlag A. Theisen, Görlitz

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