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Bundesverdienstkreuz für Dr. Josef Gonschior aus Ratibor/Racibórz,
»einem der geistigen Köpfe des Deutschtums in der Heimat«

»In Anerkennung der um die Bundesrepublik Deutschland erworbenen besonderen Verdienste« hat Bundespräsident Joachim Gauck Herrn Dr. Josef Gonschior kurz vor Weihnachten letzten Jahres, wenige Tage vor seinem 77. Geburtstag, das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Die Ordensinsignien konnte er dann – im Beisein zahlreicher Freunde und Weggefährten – am 13. Mai d. J. aus der Hand der deutschen Generalkonsulin Frau Elisabeth Wolbers in ihrem Breslauer Amtssitz entgegennehmen.

Frau Wolbers hat aus der Würdigung des Bundespräsidenten dazu folgendes resümiert: »Mit seinem Engagement leistete und leistet Herr Dr. Gonschior einen wichtigen Beitrag für die demokratische, zukunftsorientierte Neuorganisation der deutschen Minderheit in Polen nach der Wende und für die Förderung der deutschen Sprache und Kultur in Oberschlesien. Dabei arbeitete er nachhaltig daran, die Akzeptanz der deutschen Minderheit in der polnischen Gesellschaft zu sichern, und schlug Brücken zwischen Deutschland und Polen, aber auch der Tschechischen Republik1 , zwischen polnischer Mehrheitsgesellschaft und deutscher Minderheit sowie zwischen in Polen verbliebenen Deutschen und den heimatvertriebenen Oberschlesiern in Deutschland.«

»Einem der geistigen Köpfe des Deutschtums in der Heimat«, der in gleicher Weise guter polnischer Staatsbürger und guter Deutscher sein will, wie Dr. Herbert Hupka, der damalige Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Herrn Dr. Gonschior schon 1998 bei der Verleihung des Schlesierschildes (der höchsten Auszeichnung dieser Landsmannschaft) charakterisierte, ist nun also auch die gebührende Anerkennung durch den deutschen Staat zuteil geworden.

Sehen wir uns die Leistungen des Ordensträgers näher an und beginnen mit einem Blick auf sein Leben:

Josef Julius Gonschior wurde am 27. Dezember 1937 in Ratibor als jüngstes Kind des Tischlers und Zimmerpoliers Julius und seiner Frau Antonie geboren. Im Herbst 1943 wurde er eingeschult, musste jedoch bereits im Frühjahr 1945 mit seiner Mutter vor der Kriegsfront flüchten; sie kamen bis nach Oberbayern und fanden eine vorübergehende Bleibe in einer Landgemeinde nahe Altötting. Die dortige Volksschule konnte er nur ein Jahr besuchen, weil die Mutter mit ihm Mitte 1946 nach dem polnisch gewordenen Ratibor zurückkehrte, wo Vater sie erwartete; folglich musste der Achtjährige nunmehr im polnischen Umfeld seiner Schulpflicht genügen und von einem Tag auf den anderen Polnisch lernen. Um bleiben (und ihr Häuschen im Grünen behalten) zu können, war die Familie gezwungen, die polnische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Anhand von versteckt gehaltenen Restbeständen deutscher Bücher, von deutschen Gedichten und Liedern sowie durch Abhören deutschsprachiger Radiosender versuchte er nebenher seine Deutsch-Kenntnisse zu konservieren. 1951 wechselte er von der Grundschule aufs Gymnasium (Lyzeum genannt) und schaffte 1955 ein Abitur »mit Auszeichnung«. Im Anschluss daran studierte er an der Technischen Hochschule Gleiwitz Anorganische Chemie und schloss sein Studium 1960 als Diplomingenieur ab. 1965 heiratete er die gebürtige Ratiborerin Renate Jendrosch.

Von 1960 bis 1992 war Herr Gonschior im Ratiborer Kohlen- und Graphitelektrodenwerk tätig und brachte es (ohne Parteimitglied zu werden) zum Leiter des Forschungslaboratoriums der Firma mit 80 Mitarbeitern. Aufgrund seiner Arbeitserfolge (viele technische Erfindungen und Rationalisierungsvorschläge, über zehn Patentanmeldungen) konnte er ein Auslandsstipendium in Wien annehmen, zu Vorträgen und Tagungen ins Ausland reisen sowie 1982 an der Technischen Hochschule Breslau zum Dr.-Ing. promovieren.

Dr. Gonschiors »Erweckungserlebnis« für sein landsmannschaftliches Engagement war die Teilnahme an der legendären »Versöhnungsmesse« in Kreisau am 12. November 1989 in Gegenwart des polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki und des deutschen Bundeskanzlers sowie die dabei stattgefundene Begegnung mit dem Vorkämpfer und Gründer der »Deutschen Freundschaftskreise« (DFK) in Oberschlesien Blasius Hanczuch aus dem keine 10 Kilometer von Ratibor entfernten Benkowitz.

Auf dessen Anregung hin beginnt Dr. Gonschior im gleichen Jahr mit der Herausgabe eines »Kultur- und Informations-Bulletins«, das bis heute erscheint – nunmehr als Beilage mit dem Titel »Oberschlesische Stimme« zum zweisprachigen Oppelner »Wochenblatt«, der Zeitung für die deutsche Minderheit in Polen. Unter seiner Mitarbeit konnte bereits im Januar 1990 die Registrierung/Anerkennung des DFK als Organisation der deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Kattowitz (jetzt Schlesien) durchgesetzt werden. Als Stellvertreter des zum ersten DFK-Vorsitzenden im Bezirk Kattowitz gewählten Herrn Hanczuch kümmerte er sich – zunächst ehrenamtlich – um den Betrieb des DFK-Bezirksbüros in Ratibor und den Aufbau der Minderheitenstrukturen.

1992 gab Dr. Gonschior schließlich seine berufliche Tätigkeit auf, um sich voll auf die Geschäftsführung im Bezirksverband konzentrieren zu können; diese Funktion übte er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 aus (und steht dem Verband auch heute noch hilfreich zur Seite). In zahlreichen Vorträgen in Polen, Tschechien und Deutschland warb er um Verständnis für die Lage der deutschen Minderheit und setzte sich für die Rückkehr der deutschen Sprache in Schulen, Kirchen und im öffentlichen Leben ein. Er organisierte Deutsch-Kurse für Erwachsene und kämpfte für eine flächendeckende Einführung des Deutsch-Unterrichts in den Schulen Oberschlesiens auf Basis einer Verordnung des polnischen Bildungsministeriums; diese erwies sich allerdings als nicht genügend tragfähig, so dass er anstelle des angestrebten großen Wurfs auf den Weg der »kleinen Schritte« setzen musste. Seinem Verhandlungsgeschick und seinem Erfolg bei der Akquirierung von Finanzmitteln/Fördergeldern ist es zu verdanken, dass

    - in hunderten oberschlesischer Grundschulen der sog. »muttersprachliche Deutschunterricht« (mit wöchentlich 3 Stunden) verpflichtend ist,
    - im Allgemeinbildenden Lyzeum Ratibor ein bilingualer Klassenzug mit deutsch-polnischer Unterrichtssprache eingeführt werden konnte,
    - ebenfalls in Ratibor das zweisprachige (deutsch-polnische) Eichendorff-Gymnasium errichtet wurde und
    - eine bilinguale Grundschule eröffnet werden konnte sowie
    - ein Deutschlehrer-Kolleg (als Fachhochschule für die Ausbildung von Deutschlehrern) besteht,
    - aus der Woiwodschaft Schlesien kommende Germanistikstudenten an den Universitäten Oppeln und Breslau durch (privat organisierte) Stipendien und Beihilfen unterstützt werden können.

Daneben legte Dr. Gonschior von Anfang an sein Augenmerk darauf, die erhalten gebliebenen Denkmäler und Feldkreuze aus deutscher Zeit zu erfassen und zu renovieren, wenn nötig, zu rekonstruieren. Mit der Wiederherstellung des identitätstiftenden Ratiborer Eichendorff-Denkmals im Jahr 1994 am alten Platz – in Anwesenheit zahlreicher prominenter Gäste, u. a. des noch im (ehemaligen, inzwischen wiederaufgebauten) Schloss Groß Rauden bei Ratibor geborenen Herzogs von Ratibor – haben der »Bund der Ratiborer« aus Leverkusen, der Bildhauer Georg Latton und nicht zuletzt er selbst sich ein Denkmal gesetzt.

Wenn es ihm auch nicht gelang, Ratibor (die »Stadt des jungen Eichendorff«, wie sie sich einst gern genannt hat), anstelle des einige Kilometer entfernten Eichendorff-Geburtsortes Lubowitz zum Zentrum des Eichendorff-Gedenkens zu machen, so wirkt er doch aktiv an dem in Lubowitz etablierten Oberschlesischen Eichendorff-Kultur- und -Begegnungszentrum mit. Auf seine Initiative geht bspw. der »Wissenschaftliche Beirat« dieser Einrichtung zurück, dem er seither als Sekretär zur Verfügung steht.

In dieser Eigenschaft vermochte Dr. Gonschior etwa den Landrat von Ratibor dazu zu bewegen, die Jahre 2007 und 2013 (Eichendorffs 150. Todes- bzw. 225. Geburtsjahr) in Ratibor Stadt und Land als »Eichendorff-Jahre« zu deklarieren, in denen die Bevölkerung in zahlreichen Vorträgen und sonstigen Veranstaltungen des Dichters und seines Werkes erinnert bzw. gewahr wurde. Er selbst hielt jeweils mehrere Vorträge in diesem Kontext. Generell ist Dr. Gonschiors reiche Vortrags- und publizistische Tätigkeit in seiner engeren Heimat wie in Deutschland hervorzuheben, durch die er seinen Anliegen über das begrenzte persönliche Umfeld hinaus Stimme und Gewicht verleiht. Weit vorausschauend war insbesondere die von ihm im Ratiborer DFK-Begegnungshaus bereits 1997 ins Leben gerufene und dort redigierte deutschsprachige Radiosendung »Die deutsche Stimme aus Ratibor«; sie wurde zwei Jahre später durch ein zweisprachiges Jugendmagazin »Mittendrin« ergänzt (beide Sendungen werden über den Lokalsender Radio Vanessa ausgestrahlt und können inzwischen auch als Internetradio gehört werden).

Schade nur, dass »die deutsche Stimme [Dr. Gonschiors] aus Ratibor« höherenorts so lange nicht wahrgenommen wurde! In diesem Fall ist es ja noch einmal gutgegangen, weil ein Schulfreund des Besagten, der Landesvorsitzende der Landsmannschaft der Oberschlesier aus Nordrhein-Westfalen, Dipl.-Ing. Erhard Bullmann (m. W. selbst Träger des Bundesverdienstkreuzes), sich ein Herz genommen und die damit verbundenen Mühen nicht gescheut hat, die Ordensverleihung beim »Vorschlagsberechtigten«2 anzuregen. Im Ordensstatut heißt es dazu: »Jeder kann die Verleihung des Verdienstordens an einen anderen formlos anregen«. Warum geschieht das so selten? Aus verschiedentlich gewonnener eigener Erfahrung kann ich dazu nur sagen, dass jeder (noch) nicht mit einem Orden Gesegnete sich schwer damit tut, eine Ordensanregung für einen anderen einzubringen. Für im politischen Raum Tätige ist die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (für eigentlich von Amts wegen erbrachte und abgegoltene Leistungen) hingegen meist eine Art Selbstläufer...


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1 im Hinblick auf die deutsche Minderheit im Hultschiner Ländchen, das bis 1920 (sowie von 1938 bis 1945) zum Landkreis Ratibor gehörte

2 Vorschlagsberechtigt ist für Auslandsdeutsche bzw. ausländische Staatsangehörige das Auswärtige Amt – für Inlandsdeutsche der Regierungschef des jeweiligen Wohnsitzlandes.


Erschienen in:
»SCHLESIEN HEUTE« 8/2015, Senfkorn-Verlag A. Theisen, Görlitz




Ein weiterer Artikel über die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Dr. Josef Gonschior ist erschienen in
»Schlesischer Kulturspiegel« 3/2015 der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg

mit der Überschrift


Bewahrer der deutschen Sprache und Kultur
Dr. Josef Gonschior aus Ratibor, »einer der geistigen Köpfe des Deutschtums in der Heimat«, wurde mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Herr Dr. Josef Gonschior, ein führender Vertreter der deutschen Minderheit in Oberschlesien, Mitbegründer und jahrelanger Geschäftsführer des Deutschen Freundschaftskreises (DFK) im Bezirk Kattowitz resp. Schlesien mit Sitz in Ratibor, wurde für seine Verdienste um die genannte Bevölkerungsgruppe und um die Bewahrung der deutschen Sprache und Kultur in Oberschlesien von Bundespräsident Joachim Gauck mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Im Beisein seiner gleichfalls in Ratibor geborenen Frau (die ihm 50 Jahre den Rücken freihielt) und zahlreicher Freunde und Weggefährten konnte er am 13. Mai dieses Jahres die Ordensinsignien zusammen mit der Verleihungsurkunde aus der Hand der deutschen Generalkonsulin Frau Elisabeth Wolbers in ihrem Breslauer Amtssitz entgegennehmen.

In der Würdigung von Dr. Gonschiors Verdiensten, die für die Auszeichnung maßgeblich waren, heißt es u. a.: »Mit seinem Engagement leistete und leistet Herr Dr. Gonschior einen wichtigen Beitrag für die demokratische, zukunftsorientierte Neuorganisation der deutschen Minderheit in Polen nach der Wende und für die Förderung der deutschen Sprache und Kultur in Oberschlesien. Dabei arbeitete er nachhaltig daran, die Akzeptanz der deutschen Minderheit in der polnischen Gesellschaft zu sichern, und schlug Brücken zwischen Deutschland und Polen, aber auch der Tschechischen Republik1, zwischen polnischer Mehrheitsgesellschaft und deutscher Minderheit sowie zwischen in Polen verbliebenen Deutschen und den heimatvertriebenen Oberschlesiern in Deutschland.«

17 Jahre zuvor ist Dr. Gonschior für seine außerordentlichen Leistungen bereits mit der höchsten Auszeichnung der Landsmannschaft Schlesien, dem Schlesierschild, bedacht worden. Dr. Herbert Hupka, der damalige Bundesvorsitzende dieser Landsmannschaft und Laudator, sprach bei dieser Gelegenheit von ihm treffend als von »
einem der geistigen Köpfe des Deutschtums in der Heimat«; sein prodeutsches Wirken sei jedoch nicht antipolnisch – er wolle in gleicher Weise guter polnischer Staatsbürger und guter Deutscher sein. Dies wird auch von polnischer Seite anerkannt: So dankte ihm der Stadtpräsident von Ratibor für die »Nobilitierung der Kultur unserer Stadt und die Annäherung der polnischen Gesellschaft an die deutsche Tradition und Kultur«.

Wie angemerkt sei, steht Herr Dr. Gonschior dem Verein der Freunde und Förderer der Stiftung Kulturwerk Schlesien e.V. in Würzburg nahe, dem er bis zu seinem 75. Lebensjahr (2012) angehört hat. Der Verein beglückwünscht ihn zu der nun erfolgten Anerkennung seiner Leistungen durch den deutschen Staat auf das herzlichste.


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1 im Hinblick auf die deutsche Minderheit im Hultschiner Ländchen, das bis 1920 (sowie von 1938 bis 1945) zum Landkreis Ratibor gehörte

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