Am 28. November 2008 wurde dem Erzbischof der oberschlesischen Diözese Oppeln/Opole, Prof. Alfons Nossol, in Berlin die Medaille des »Mérite Européen« in Gold der gleichnamigen luxemburgischen »Fondation« (Stiftung) verliehen. Die Ehrung erfolgte im Rahmen einer Feierstunde in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung durch die Vizepräsidentin besagter Fondation und Präsidentin ihres deutschen Freundes- und Förderkreises, Prof. Ursula Braun-Moser, und den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Prof. Hans-Gert Pöttering. Die Auszeichnung wird einmal jährlich als »Berliner Europapreis« an eine international bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens vergeben, die sich um die europäische Einigungsidee verdient gemacht hat. Unter den Preisträgern sind beispielsweise der ehemalige litauische Präsident Vytautas Landsbergis und der erste nachkommunistische polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki, der deutsche Außenminister a. D. Hans-Dietrich Genscher, der vormalige israelische Botschafter in Deutschland Avi Primor und der Wiener Kardinal Franz König.
Die »Fondation du Mérite Européen« wurde 1970 von dem renommierten französischen Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Prof. François Visine ins Leben gerufen, einem Lothringer (wie Robert Schuman, Wegbereiter der europäischen Einigung und erster Präsident des Europäischen Parlaments); 1990 erhielt sie durch Beschluß des Großherzogs von Luxemburg den Status der Gemeinnützigkeit. Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, engagierte Europäer zu ehren, die sich für die Vereinigung der europäischen Völker in Freiheit, Frieden und Brüderlichkeit einsetzen und an der Gestaltung eines freien, demokratischen und geeinten Kontinents mitwirken. Dazu verleiht sie die Medaille Mérite Européen in den Stufen Bronze, Silber und Gold. Präsident der Stiftung ist zur Zeit Jacques Santer, ehemaliger luxemburgische Premierminister und von 1995-1999 Präsident der Europäischen Kommission.
Der Hausherr der Konrad-Adenauer-Stiftung, Prof. Bernhard Vogel, begrüßte die Gäste – unter ihnen der emeritierte Bischof von Hildesheim, Dr. Josef Homeyer, Träger des Offizierskreuzes des Polnischen Verdienstordens für seine Bemühungen um die deutsch-polnische Aussöhnung – und lenkte ihren Blick auf die Initiativen um die deutsch-polnische Verständigung und Aussöhnung, mit denen sich Erzbischof Nossol als »wahrer Pontifex« (Brückenbauer) erwiesen habe. Er nannte den Gottesdienst im niederschlesischen Kreisau/Krzyżowa mit dem deutschen Bundeskanzler und dem polnischen Ministerpräsidenten am 12. November 1989 im Gedenken an den Widerstandskreis um Helmuth James Graf von Moltke sowie viele Tagungen unter Nossols Beteiligung, insbesondere in dem von ihm geschaffenen »Europäischen Tagungszentrum« Schloß Groß Stein/Kamień Śląski bei Oppeln.
In seiner Laudatio bezeichnete Gert Pöttering Erzbischof Nossol als einen großen Europäer, der »Grenzen überwunden, Brücken gebaut und der Zukunft zugearbeitet« habe. Dabei ließ er sich von Nossols Worten von »der Hoffnung, die weiter sieht, der Liebe, die tiefer sieht, und dem Glauben, der anders sieht« leiten. Wörtlich: »Aus der Hoffnung haben Sie die deutsch-polnische Versöhnung vorangebracht, aus der Liebe … das Selbstwertgefühl Schlesiens in seiner europäischen Bestimmung erneuert und aus dem Glauben … die Wurzeln der Identität Europas gestärkt.« Hierzu führte er im einzelnen aus:
• Was wir erreicht haben, wäre ohne die Hoffnung, von der Erzbischof Nossol unbeirrt getragen wurde, nicht erreicht worden. Auch wenn es in den deutsch-polnischen Beziehungen immer wieder Rückschläge gebe und Einzelfragen strittig oder auch nur aufgebauscht sein mögen, habe alles in allem die Hoffnung gesiegt: Aus Feinden wurden Partner, aus Fremden Nachbarn, aus Polen und Deutschen neue Pfeiler für das vereinte Europa. Die katholische Kirche in Polen und Deutschland war lange Zeit Vorreiter der Hoffnung auf Versöhnung. Die unvergeßliche Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder vom 18. November 1965 mit dem Kernsatz »… wir … vergeben und bitten um Vergebung« habe die Tür geöffnet.
• Die Liebe Nossols zu seiner schlesischen Heimat sei ein großartiges Beispiel für alle, die Heimatliebe und europäische Bestimmung als unzertrennlich zusammendenken. Auf dem Weg zu einem versöhnten Europa ist er an vielen Stellen vorausgegangen und habe die Richtung gewiesen. Pöttering erinnerte u. a. an den am 21. Juni 1983 gemeinsam mit Papst Johannes Paul II., Nossols theologischem Lehrer in Lublin, zelebrierten Gottesdienst auf dem St. Annaberg/Góra Św. Anny und den ersten deutschsprachigen Gottesdienst sechs Jahre danach am gleichen Ort, von denen »die Saat der Liebe für die Erneuerung der versöhnten Vielfalt unter den Schlesiern aller Sprachen und Prägungen ausgestreut« wurde.
• In Bezug auf die dritte christliche Tugend, den Glauben, zitierte Pöttering den Erzbischof mit den Worten: »Will sich Europa ernsthaft als ausgesöhnte und vereinigte Werte- und Kulturgemeinschaft etablieren, so darf es seine christlichen Wurzeln nicht verleugnen«, denn aus ihnen ergebe sich der Primat der Menschenwürde, die nach christlichem Verständnis von Gott geschenkt wurde. Im Kern sei die Einigung Europas ein Werk verwirklichter Menschenwürde in einer nach Krieg und Leid erneuerten Ordnung der Staaten und Völker unseres Kontinents. Nach Nossols Auffassung komme den christlichen Kirchen im zukünftigen Europa »als Raum der Integration inmitten einer desintegrierten Erfahrungswelt, als Sinnstifterin in einer Welt der Sinnentleerung und Absurdität, wenn nicht gar der expandierenden Banalität, entscheidende Bedeutung« zu. Dies decke sich im übrigen – fügte er hinzu – mit der Überzeugung der Christdemokraten im Europäischen Parlament, die sich deshalb stets nachdrücklich für einen Gottesbezug in der Europäischen Verfassung eingesetzt haben.
Zusammenfassend stellte der Laudator fest, daß mit dem Mérite Européen vor allem die von dem Geehrten in christlichem Geist vorgelebte Brüderlichkeit über die Grenzen von Volksgruppen und Nationen hinweg gewürdigt werde. Denn Europas Einigung funktioniere nicht, wenn man meine, der Vorteil des einen sei verbunden mit dem Nachteil des anderen. Vielmehr müsse uns der Geist des Gebens und Nehmens, der Geist der Solidarität, weiter beflügeln inmitten aller Herausforderungen der Gegenwart.
In seiner Dankesrede zeigte sich Erzbischof Nossol hocherfreut über die Auszeichnung, die vor ihm schon einem polnischen Ministerpräsidenten und einem deutschen Außenminister zuteil geworden ist, sowie darüber, daß er sie gerade an diesem Ort entgegennehmen könne. Aus Adenauers Traum von der Einheit Europas und seinem eigenen (wobei er die berühmten Worte »I have a dream« gebrauchte) sei »heute die Notwendigkeit für alle« geworden. Europa lebe einen großartigen Traum – gegen alle nationalistischen Einengungen, aus denen früher kriegerische Auseinandersetzungen folgten. Ein vereintes Europa müsse jedoch – wie Papst Johannes Paul II. es gesehen habe – eine »Gemeinschaft des Geistes« sein bzw. werden. Jede Generation habe auf ihre Weise an den geistigen Grundlagen Europas weitergebaut; nicht nur in der gegenwärtigen Situation, sondern schon »immer war Europa ein solches Wagnis im Wandel«. Für den weiteren Weg Europas komme es darauf an, daß es in ökumenischer Offenheit seine christlichen Wurzeln nicht verleugne und damit seine Seele verliere. Die Ökumene ist ein »Imperativ des christlichen Gewissens« und »der Weg der Kirche«, zitierte er aus der Ökumene-Enzyklika »Ut unum sint« des polnischen Papstes aus dem Jahr 1995. Auch erinnerte er daran, was Theodor Heuss, der erste deutsche Bundespräsident, ein »liberales Urgestein«, auf die Frage geantwortet hat, was Europa ausmache: Europa baue auf drei Hügeln: dem Areopag, der für das griechische Verständnis der Demokratie steht, dem Kapitol, das römisches Staatsdenken und Rechtsstaatlichkeit symbolisiert, und auf Golgatha, womit sich die christliche Vision von Frieden, Gerechtigkeit und Menschenwürde verbindet.
Nach der geglückten Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich bedürfe es heute der Versöhnung zwischen Deutschland und Polen. Dazu müßten beiderseits bestehende Vorurteile überwunden, die Geschichte entideologisiert und Erinnerungen geheilt werden. In diesem Versöhnungsprozeß spielten Willy Brandt und Helmut Kohl sowie die jetzige Bundeskanzlerin eine wichtige Rolle, außerdem das kluge Walten des Präsidenten des EU-Parlaments und die erfolgreiche Tätigkeit der Fondation du Mérite Européen. Daß auf den polnischen Papst ein deutscher gefolgt ist, erscheine ihm hilfreich und wie ein Fingerzeig des Himmels. Ein Wort des Schriftstellers Reinhold Schneider aufgreifend, wonach wir »damit aufhören [sollten], den Frieden erkämpfen zu wollen – erkämpfen kann man nur den Friedhofsfrieden«, betonte Nossol, daß es in Europa und der Welt nur einen »befriedenden (keinen erkämpften) Frieden« geben könne; dazu müßten wir »lernen, das Töten zu töten«. Die Zukunft Europas als Gemeinschaft des Geistes erfülle ihn keinesfalls mit »Tristesse« sondern mit Zuversicht. Mit dem Ruf »Gaudium et spes!« (»Freude und Hoffnung«), im Anklang an die hiermit beginnende Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute, beendete er seine Rede.
Die Erzbischof Nossol verliehene Medaille des Mérite Européen in Gold hat einen Durchmesser von 62 mm. Sie wird an einem azurblauen Band getragen und zeigt auf der Vorderseite den geografischen Umriß Europas mit Jupiter in Stiergestalt, die Göttin Europa tragend, und ringsum zwölf Sterne (wie auf der Europaflagge oder den Euromünzen). Auf der Rückseite der Medaille sind der Name des damit Ausgezeichneten und das Datum der Verleihung eingraviert, überwölbt von den Begriffen »Volonté – Connaissance – Action«, die für »Europa wollen – seine Probleme kennen – sich für seine Verwirklichung einsetzen« stehen.
An die Ordensverleihung schloß sich im Hinblick auf die im Juni 2009 bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament ein Gesprächsforum zum Thema »Europa wählen! Deutschland, Polen und die europäische Idee« an, das fachkundige deutsche und polnische Diskussionsteilnehmer vereinigte und vom Leiter des Warschauer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung moderiert wurde. Leitfragen der Diskussion waren: Wie ist es aus deutscher und polnischer Sicht um die vielbeschworene »Europäische Idee« bestellt, wie läßt sich die große Distanz zwischen den Bürgern und den europäischen Institutionen (die in der geringen Wahlbeteiligung zum Ausdruck kommt) schließen, und inwieweit können die deutsch-polnischen Beziehungen – ähnlich wie bisher die deutsch-französischen Beziehungen – zu einem wesentlichen Antriebsmotor in der erweiterten Union werden?