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Denkwürdiges von der Kirche Wang
im Riesengebirge


Die Kirche Wang im Riesengebirge, malerisch über dem bekannten Luftkur- und Winter­sportort Krummhübel (pln. Karpacz) zu Füßen der Schneekoppe gelegen und weit ins Hirschberger Tal hinausschauend, ist eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges. »Täglich treffen sich in und um die Kirche Wang herum Menschen aus allen Ländern der Welt« steht in einem 1994, zur 150. Wiederkehr der Einweihung dieser Kirche am 28. Juli 1844, von der Evangelisch-Augsburgischen Kirchengemeinde Wang unter ihrem Pfarrer Edwin Pech herausgegebenen schönen Bildband. Und weiter: »Aber auch jene kommen, denen dieses Land einstmals Heimat war, und die gerade nach ihrem Verlust Brücke sein wollen für ein friedliches Zusammenleben zwischen Deutschen und Polen«. Indessen scheint es am nötigen Geld für einen Nachdruck der deutschsprachigen Fassung des Buches zu fehlen, die schon einige Zeit vergriffen ist (neuerdings hält man zumindest eine Texteinlage in deutscher Sprache bereit). Der Besucher erfährt jedoch aus den allerorten aufgestellten, anerkennenswerterweise auch in Deutsch abgefassten Schrifttafeln einiges über die Geschichte der Kirche, über den Friedhof und andere Denk­würdigkeiten. Neben Bekanntem und in Reiseführern Nachzulesendem entdeckt man dabei manch weniger Bekanntes und von dem Bemühen des Pfarrers und der Kirchengemeinde um Wahrhaftigkeit in der Darstellung des Vergangenen Zeugendes.

Bei einem Gang über den Friedhof, der die Kirche im Osten und Nordosten umschließt, finden sich fast ausnahmslos Grabsteine,
-platten und -kreuze mit deutscher Beschriftung, und man spürt überall die pflegende Hand. Das wundert um so mehr, als man weiß, dass Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre die meisten deutschen Friedhöfe in den »wiedergewonnenen Gebieten« eingeebnet wurden, um die Spuren der deutschen Vergangenheit zu beseitigen. Wie zu erfahren ist, wurden zu jener Zeit auch auf dem hiesigen Bergfriedhof etliche Grabsteine abgeräumt oder zerstört; doch dank der Fürsorge der polnischen Pfarrer konnte das Schlimmste verhindert werden. Seit einigen Jahren bemüht sich die Pfarrgemeinde um eine Rekonstruktion des Friedhofs und richtet Grabsteine (auf ihre Kosten) wieder auf, reinigt sie und erneuert die Inschriften. »Die polnische evangelische Gemeinde stellt sich der deutschen Vergangenheit der Region und leistet ihren Beitrag für die Bewahrung des schlesischen kulturellen und kirchlichen Erbes« heißt es dazu auf einer der Informationstafeln.

Beerdigungen fanden nach dem Krieg hier jahrelang nicht mehr statt; erst seit 2001 sind Urnenbegräbnisse zugelassen; in jenem Jahr ist bspw. Henryk Tomaszewski, der Begründer des bekannten Breslauer Pantomimentheaters beigesetzt worden. Im Januar 2006 folgte Luise Pohl, die fast hundertjährig verstorbene Schwägerin des Schriftstellers Gerhart Pohl, die bis zuletzt in seinem Haus »Waldwinkel« in Wolfshau eingangs des Melzergrundes gelebt hatte; ein schlichtes Holzkreuz mit dunklem Wappenschild bezeichnet ihr Grab nahe dem steinernen Glockenturm. Pohls Haus war während des Dritten Reiches eine »Fluchtburg« für viele Bedrängte und Verfolgte. Zu ihnen gehörten auch der aus einem evangelischen Pfarrhaus stammende schlesische Schriftsteller Jochen Klepper mit seiner jüdischen Frau und deren Tochter. Kleppers Tagebuchaufzeichnungen »spiegeln die Leidensgeschichte des Deutschen, des Christen, des Schriftstellers im Dritten Reich [in ergreifender Weise] wider«; ihrer Veröffentlichung sind trefflicherweise die Worte des Psalmisten vorangestellt »…unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis dass das Unglück vorübergehe«.

Mit dem Namen Gerhart Pohl verbindet sich auch die Erinnerung an Gerhart Hauptmann, der nur wenige Kilometer von Krummhübel entfernt in Agnetendorf zuhause war, und an die bewegende Schilderung der letzten Tage des greisen Dichters, die er 1953 unter dem Titel »Bin ich noch in meinem Haus?« herausbrachte (das Buch hat dank des Engagements von Günter Gerstmann in den letzten Jahren mehrere Nachdrucke durch die Martin-Opitz-Bibliothek in Herne erfahren). Für Gerhart Pohl ist Hauptmann, den bekanntlich der Tod am 6. Juni 1946 vor der drohenden Ausweisung bewahrte, zum »Sinnbild des deutschen Schicksals« geworden.

Ein anderes solches »Sinnbild« ist das Schicksal des letzten deutschen Pfarrers der Kirche Wang, von dem auf einer Tafel am Friedhof zu lesen ist. Pfarrer Ernst Passauer, so sein Name, der die ihm anvertraute Gemeinde durch die schwere Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges geführt hatte, 1944 noch den 100. Jahrestag der Weihe seiner Kirche feiern konnte und den Landsleuten bei den Bedrängnissen nach dem Krieg mit Trost und Hilfe beistand, wurde am Pfingstsamstag, den 8. Juni 1946, von nachts ins Pfarrhaus eindringenden Plünderern so schwer verletzt, dass er kurz darauf starb. Zur gleichen Zeit, da die Menschen sich bestürzt zum Pfingstgottesdienst in der Kirche Wang zusammenfanden, gedachte man im »Haus Wiesenstein« in Agnetendorf des anderen großen Toten (Gerhart Pohl hielt dabei die Gedenkrede im Namen der Freunde des Dichters). Ein paar Tage danach wurde Pfarrer Passauer unter großer Anteilnahme der noch verbliebenen deutschen Bevölkerung zu Grabe getragen. Sein in Ehren gehaltenes Grab befindet sich im nördlichen Teil des Wanger Friedhofs in der Nähe der Sakristei.

Der Name des Pfarrers scheint auf eine Herkunft aus der Stadt Passau an der bayerisch-österreichischen Grenze hinzudeuten; mein dadurch gewecktes Interesse förderte Überraschen­des zutage: Pfarrer Passauer gehört einer weitverzweigten, bis ins
14. Jahrhundert zurück­reichenden, fast gleichzeitig in Bayern und Oberösterreich (unter verschiedenen Spielarten des Namens) auftretenden Familie an, die bereits im 16. Jahrhundert auch in Ostpreußen nachweisbar ist. Der erste Vertreter des heutigen ostpreußischen Stammes taucht in der ersten Hälfte des 18. Jahr-hunderts im (katholischen) Ermland auf und wurde im ostbayerischen Kötzting geboren; sein Vater stand viele Jahre in Diensten des Erzbischofs von Gran (dem heutigen Esztergom), mit dem er mehrere Reisen nach Polen und ins Baltikum unternahm. Dass Ernst Passauer »gebürtiger Ostpreuße aus altem salzburgischen Emigrantengeschlecht« war, wie Zoe Droysen in der Schrift »Wang im Riesengebirge – Weg und Schicksal der Kirche Wang von Norwegen bis Schlesien« annimmt, dürfte insofern ein Irrtum sein. Geboren wurde Ernst Passauer im Jahr 1880 in Königsberg (Pr) als Sohn eines mit einer Breslauerin verheirateten Kaufmanns. Durch häufige Besuche im großväterlichen Haus von Jugend an – Großvater Johann Julius Kringel war Weingroßhändler und Direktor des Breslauer Konsumvereins – und zwei Studiensemester in Breslau lernte er das Riesengebirge kennen und lieben. So erfüllte er sich im späteren Leben einen lange gehegten Wunsch und wurde 1930 Pfarrer der Kirche Wang.

Der gewaltsame Tod von Pfarrer Passauer im Jahr 1946 machte jedermann klar, was die Stunde geschlagen hat. Die Witwe versuchte noch im Sinne ihres Mannes, dem täglich kleiner werdenden Rest der Pfarrgemeinde Halt zu geben, dann musste auch sie gehen. Sie folgte der Familie ihrer Tochter ins oberfränkische Schönwald bei Selb, wo die Angehörigen eines Cousins ihres Mannes lebten. Ihr ältester Sohn, Hellmut Passauer, der ebenfalls den geistlichen Stand erwählt und den Krieg überlebt hat, brachte es im übrigen zum Superintendenten in der Evangelischen Kirche Berlin. Bei den diesbezüglichen Recherchen kam mir die Internet-»Bekanntschaft« mit Herrn Hartmut Passauer zugute, dem Sohn des besagten Cousins, der im Verteidigungs­ministerium in Bonn tätig war, dem Bayerischen Landesverein für Familienkunde angehört und über eine umfangreiche genealogische Daten- und Faktensammlung verfügt.

Ein bemerkenswertes Denkmal und versöhnliches Zeichen im christlichen Geist ist auf dem (westlichen) Vorplatz der Kirche Wang zu sehen. In einer mit Bruchsteinen ausgekleideten, von immergrünem Efeu beschatteten Nische, in der bis 1945 eine Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs angebracht war, ist eine Holzskulptur des Lazarus aus dem Johannes-Evangelium aufgestellt und mit erläuternden Texten versehen. Das Werk wurde von dem Hirschberger Künstler Ryszard Zajac geschaffen und im Jahr 1994 anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Kirche Wang von der schlesischen Genossenschaft des Johanniterordens und der Familie von Kessel gestiftet. Es zeigt Lazarus aus Bethanien vor der offenen Grabeshöhle, in der er bereits drei Tage in Finsternis, Kälte und Verlassenheit gelegen hat, den Körper mit Binden umwickelt und das Gesicht mit einem Tuch verhüllt, wie er sich langsam aufrichtet, nachdem er von Jesus neu ins Leben gerufen wurde. Dazu heißt es im Text der Schrifttafeln: »Dunkel war mehrfach auch die Geschichte zwischen den Menschen deutscher, polnischer und tschechischer Herkunft. Das soll nicht vergessen werden. Daran erinnert der Spruch bei Matthäus 5,4 [Bergpredigt]: ›Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden‹. … Mit dieser Hoffnung können wir die Zukunft gestalten und das gemeinsame schlesische Erbe bewahren. … So wie Jesus Christus dem Lazarus neues Leben geschenkt hat, wird auch uns allen durch IHN Hoffnung auf die gemeinsam zu gestaltende Zukunft gegeben, in der Nachfolge Jesu.«

Ein paar Schritte weiter auf das den Kirchplatz im Norden begrenzende Pfarrhaus erinnert ein anderes Denkmal an die Person, deren Fürsprache und Fürsorge die Errichtung der von Vang am gleichnamigen See in Südnorwegen stammenden Stabholzkirche im Riesengebirge zu verdanken ist: Gräfin Friederike von Reden, Witwe des preußischen Bergwerksministers Graf Friedrich Wilhelm von Reden, der sich besondere Verdienste um das schlesische Berg- und Hüttenwesen erwarb. Das Denkmal in Form eines an die rückwärtige Stützmauer gelehnten Brunnenhäuschens mit dem Reliefbild der Gräfin auf großer marmorner Tafel mit erneuerter Inschrift hat der preußische König Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1856 ihr zu Ehren setzen lassen. Die Inschrift hält u. a. fest, dass die (vom König erworbene) »uralte Kirche von Wang … auf ihren Rat hier neu aufgerichtet« wurde, damit sie den Bergbewohnern als Pfarrkirche diene. Die Gräfin von Reden war es auch, die König Friedrich Wilhelm III. dafür gewonnen hat, dass die um ihres evangelischen Glaubens willen ausgewanderten Zillertaler 1837 in Erdmannsdorf, auf seinem Grund und Boden, angesiedelt wurden (die königliche Familie besaß dort Gut und Schloss). Ihre letzte Ruhestätte fand die Gräfin – nach Günther Grundmann »eine der edelsten Frauengestalten in Schlesien, der das Volk des Hirschberger Tales wegen ihrer Mildtätigkeit und Frömmigkeit ein freundliches Gedächtnis bewahrt hat« – an der Seite ihres Mannes in Buchwald, das man wie Erdmannsdorf von der Kirche Wang aus sehen kann.

Weiteres Wissenswertes über die Kirche Wang hat der rührige polnische Pfarrer Edwin Pech, der schon jetzt länger als jeder seiner deutschen und polnischen Vorgänger der kleinen Evangelisch-Augsburgischen Kirchengemeinde vorsteht und die zahlreichen Gäste aus nah und fern hier Einkehr halten und Besinnung finden lässt, in Texten (auch in Deutsch) und in Bildern unter »www.wang.com.pl« ins Internet gestellt; zu empfehlen sind insbesondere die elf interaktiven Rundgänge um die Kirche und in der Kirche. Auf die Kirche selbst gehe ich hier nicht weiter ein; nur soviel: Das über 800 Jahre alte Kleinod wäre es wahrlich wert, in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen zu werden – wie die großen schlesischen Friedens­kirchen in Jauer und Schweidnitz.


Erschienen in:
»Schlesischer Kulturspiegel« 1/2007 der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg
»Neuer Glogauer Anzeiger« des Glogauer Heimatbunds e.V. Hannover, Nr. 5/2007
»Hefte für Kultur und Bildung« des Joseph von Eichendorff-Konversatoriums Oppeln, Nr. 56, 3/2007 (deutsch/polnisch)
»Frankenstein-Münsterberger Rundschau« Nr. 6/2013 der Bundesheimatgruppe Kreis Frankenstein, Bielefeld





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