Bilder | Text als pdf-Datei | Startseite


Abschied von Kardinal Scheffczyk
Bedeutender Theologe und heimatverbundener Oberschlesier

Am 8. Dezember 2005 ist der aus Beuthen in Oberschlesien stammende, international renommierte Theologe Kardinal Leo Scheffczyk im 86. Lebensjahr in München verstorben. Seiner alten oberschlesischen Heimat war er bis zuletzt treu verbunden. Erinnert sei an die in dieser Zeitschrift (Heft 2/05) wiedergegebene Predigt beim Gedenkgottesdienst der Landsmannschaft der Oberschlesier »Gegen das Vergessen – 60 Jahre nach Flucht und Vertreibung« am 7. Mai 2005 in der Münchner St. Jakobskirche. Dabei scheute er sich nicht, die »Greuel« der Vertreibung beim Namen zu nennen und die Haltung der Vertriebenen als »gewaltiges Opfer vor Gott und den Menschen« zu würdigen. Er sagte aber auch: »Die vergangene tragische Geschichte lenkt unseren Blick zuletzt von der ausschließlichen Zuwendung an die irdische Heimat ab und richtet ihn auf die wahre, endgültige Heimat im Himmel.« Nun ist er dorthin heimgeholt worden.

Am 9. Dezember 2005 richtete Papst Benedikt XVI. ein Kondolenztelegramm an den Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, in dem es heißt: »Mit tiefer Trauer und innerer Bewegung habe ich vom Heimgang des geschätzten Kardinals Leo Scheffczyk am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis Mariens Kenntnis erhalten. Sein reiches priesterliches und wissenschaftliches Leben und Wirken widmete er mit unermüdlichem Eifer der theologischen Durchdringung und Verkündigung der göttlichen Wahrheit. In seiner Glaubenstreue sowie in seiner menschlichen Güte und Bescheidenheit bleibt er seinen Schülern und vielen Gläubigen ein leuchtendes Vorbild. Möge die jungfräuliche Gottesmutter, der Kardinal Scheffczyk sein ganzes Leben in kindlicher Liebe verbunden war, ihn in das ewige Vaterhaus geleiten. Von Herzen erteile ich allen, die um den verstorbenen Kardinal der Heiligen Kirche trauern und um sein ewiges Heil beten, als Unterpfand göttlichen Trostes den Apostolischen Segen.«

Am 13. Dezember wurde der Sarg mit dem Leichnam Kardinal Scheffczyks in den Münchner Liebfrauendom überführt und auf den Stufen zum Altar aufgebahrt, so daß die Gläubigen im stillen Gebet von ihm Abschied nehmen konnten. Dabei hielten Mitglieder der geistlichen Familie »Das Werk«, der der Verstorbene angehörte, Gebetswache. Den Sarg schmückten das rote Kardinalsbirett und ein Meßkelch – ein Geschenk seines Heimatpfarrers aus Beuthen – sowie die Stola, die er bei der Priesterweihe getragen hatte.

Am 14. Dezember folgte ein feierliches Pontifikalrequiem im Liebfrauendom, an dem Bischöfe aus ganz Deutschland und Professoren vieler Katholisch-Theologischer Fakultäten sowie zahlreiche Repräsentanten des öffentlichen Lebens teilnahmen. Hauptzelebrant war Kardinal Friedrich Wetter, der auch die nachfolgend wiedergegebene Predigt hielt.

Dem Begräbnis am 15. Dezember ging ein weiteres Pontifikalrequiem in der Bregenzer Stadtpfarrkirche St. Gallus voraus, das der schlesische Landsmann des Verstorbenen, Kardinal Joachim Meisner, Erzbischof von Köln, in Anwesenheit einer großen Trauergemeinde zelebrierte. In seiner Predigt deutete er es als Höhepunkt eines von marianischer Frömmigkeit geprägten Lebens, daß die göttliche Vorsehung für den angesehenen Dogmatikprofessor und Marienverehrer das Hochfest Maria Empfängnis zu seinem Sterbetag bestimmt hat. Wörtlich: »Dieser Sterbetag ist ... ein großes Ausrufezeichen, das auf den Inhalt dieses gesegneten Lebens von Kardinal Scheffczyk hinweist. ... Das Leben unseres heimgerufenen Kardinals hatte ... einen ... marianischen Rahmen. Von frühester Kindheit an haben seine Eltern das sensible und geistig wache Kind in das kirchliche Leben des oberschlesischen Landes hineingeführt, das tief marianisch geprägt war. Die marianischen Wallfahrtsorte, die berühmten Marienbilder in den Pfarr- und Klosterkirchen, die unzähligen Marienbildstöcke der oberschlesischen Landschaft und die unsterblichen schlesischen Marienlieder haben die Seele des Kindes tief geprägt und sie damit geöffnet für das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und sein gottmenschliches Wirken ...«

Kardinal Meisner würdigte den Verstorbenen sodann ebenfalls als großen Theologen, »der Theologie nicht nur als Rede über Gott, sondern in besonderer Weise als Rede vor Gott verstanden« habe, weshalb »zwischen den Zeilen seiner theologischen Werke der Geist der Ehrfurcht, des Staunens, der Bewunderung und der Anbetung« wehe. Darum habe sich der zurückhaltende Theologe plötzlich als Kardinal häufiger zu Wort gemeldet, »wo es darum ging, Klärung und Orientierung in Situationen der Verwirrung und des Irrtums zu geben«. Papst Benedikt XVI. habe zu ihm vor kurzem gesagt, »von den spätberufenen Theologen ins Kardinals­kollegium sei Leo Scheffczyk einer der wenigen gewesen, von denen die Kirche noch viel Erleuchtung und Ermutigung erfahren habe«.

Wir Schlesier sind Kardinal Scheffczyk dankbar für die bei vielen Gelegenheiten gezeigte Solidarität und seine unbedingte Wahrhaftigkeit. Nicht von ungefähr stehen auf seinem Sterbebild neben dem Wahlspruch aus dem Kardinalswappen die Worte der Gründerin der geistlichen Familie »Das Werk«: »Wer aus Gottes Licht der Wahrheit dient, lebt die wahre Liebe.« Sie finden sich auch auf den Steintafeln an seinem Grab, in das er auf dem Friedhof der geistlichen Familie im Kloster Thalbach bei Bregenz/Vorarlberg zur letzten Ruhe gebettet wurde.



Predigttext

Beim Pontifikalrequiem für Leo Kardinal Scheffczyk am 14. Dezember 2005 im Dom Zu Unserer Lieben Frau in München hielt Kardinal Friedrich Wetter, Erzbischof von München und Freising, die folgende Predigt:

»Den Herrn, den König, der kommen wird, kommt, wir beten ihn an.« So beginnt die Kirche im Advent das tägliche Stundengebet. So hat auch Kardinal Leo Scheffczyk zu Beginn dieses Advents gebetet. Vor wenigen Tagen ist der Herr zu ihm gekommen und hat ihn zu sich heimgerufen. Es war am 8. Dezember, am Fest der Unbefleckt Empfangenen Gottesmutter, die der heimgegangene Kardinal so sehr verehrt hat. An ihrem Festtag hat sie ihn mit mütterlicher Hand in die Herrlichkeit ihres Sohnes geführt. Damit ist ein langes, fast 86-jähriges Leben auf Erden zu Ende gegangen. Es war ein reicherfülltes Leben!

Kardinal Scheffczyk wurde am 21. Februar 1920 in Beuthen, mitten im oberschlesischen Kohlenrevier, geboren. Nach dem Abitur trat er 1938 in das Priesterseminar ein und begann in Breslau das Studium der Theologie. Zwei Jahre später wurde er zum Wehrdienst einberufen. In Norwegen geriet er in Kriegs- gefangenschaft. Nach dem Krieg konnte er nicht mehr in seine schlesische Heimat zurückkehren. Gottes Vorsehung führte ihn nach Bayern, wo er eine neue Heimat fand.

Kardinal Faulhaber weihte ihn am Fest Peter und Paul 1947 im Freisinger Dom zum Priester. Nach kurzer Tätigkeit als Kaplan arbeitete er als Subregens und Dozent am Priesterseminar in Königstein, das für die Priesteramtskandidaten aus den deutschen Ostgebieten dort errichtet worden war. In dieser Zeit promovierte er an der Münchner Theologischen Fakultät zum Doktor der Theologie und habilitierte sich anschließend bei Michael Schmaus, den Gott 1993 auch an einem 8. Dezember heimgerufen hat.

Sechs Jahre wirkte er als Professor für Dogmatik in Tübingen. 1965 trat er in München die Nachfolge seines Lehrers Michael Schmaus an, wo er 20 Jahre bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1985 in Forschung und Lehre eine fruchtbare, segensreiche Tätigkeit entfaltete. Zahlreiche Schüler in aller Welt zeugen von seiner hohen Anerkennung als theologischer Lehrer. Auch nach seiner Emeritierung legte er die Hände nicht in den Schoß, sondern arbeitete unermüdlich weiter in Publikationen, Vorträgen und Predigten. Aus seiner Feder stammen etwa 1200 Veröffentlichungen. Wie sehr sein Rat und seine Mitarbeit gesucht waren, zeigt sich an der hohen Zahl wichtiger und angesehener Gremien, deren Mitglied er war. Das sind die Päpstliche Marianische Akademie, die Päpstliche Internationale Theologische Akademie, der Päpstliche Rat für die Familie, die Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz, die Bayerische Akademie der Wissenschaften und die Görres-Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung.

Doch bei aller hohen Theologie blieb Leo Scheffczyk stets ein den Menschen naher Seelsorger. Jahrzehntelang hat er im Münchner Bürgerheim in der Dall’Arminstraße als einfacher Seelsorger gewirkt, auch noch nach seiner Ernennung zum Kardinal. Als Papst Johannes Paul II. im Februar 2001 den damals Einundachtzig- jährigen zum Kardinal ernannte, löste dies eine allgemeine Überraschung aus. Vor allem war Leo Scheffczyk selbst überrascht und meinte, dies sei »doch etwas zu groß für mich«. Aber wer ihn kannte, wusste, dass hier ein hochverdienter Mann der Kirche geehrt wurde.

Bei aller internationaler Anerkennung und Hochschätzung blieb Kardinal Scheffczyk stets bescheiden, ja demütig, lauter im Wesen, nobel in der Gesinnung, gütig im Handeln. Das hat auch seine Theologie geprägt. Sein theologisches Arbeiten war ihm Dienst für Christus, der die Wahrheit ist; Dienst für die Kirche, welcher der Herr die Wahrheit von Gott anvertraut hat; Dienst für die Menschen; denn die Wahrheit des Glaubens ist, wie er betont, Heilswahrheit, Wahrheit, die den Menschen heilt und ihm Heil vermittelt. Die Wahrheit des Evangeliums holt den Menschen aus dem Dunkel seiner Entfremdung und hebt ihn ins Licht Gottes.

Unbestechlich hat Leo Scheffczyk der Wahrheit des Evangeliums gedient. Denn die Wahrheit ist nicht verhandelbar. An ihr hat er nicht rütteln lassen, auch wenn man ihn als konservativ abstempeln wollte. In diese Schublade passt er nicht. Er sah sehr wohl den Wandel der Zeit und darin das Positive wie das Negative. Wer sein Werk kennt, weiß um die Weite seines Geistes, die sich in der Überfülle der von ihm behandelten Themen zeigt. Keiner Frage ist er ausgewichen. Alles hat er in ernster Auseinandersetzung und abwägendem Denken bedacht, stets bemüht, den anderen zu verstehen. Es ging ihm darum, »das Bleibende im Wandel der Zeit«, wie er einmal formulierte, herauszustellen.

Dabei wusste er sich der Wahrheit des Glaubens verpflichtet, verbunden mit der im Gewissen begründeten Wahrhaftigkeit des Denkens und des Lebens in der Kirche. »Die katholische Glaubenswelt« heißt der Titel eines seiner Werke. Die katholische Glaubenswelt in ihrer Weite war seine geistige Heimat. Was er gelehrt hat, das hat er auch gelebt. So war er ein glaubwürdiger Zeuge der katholischen Wahrheit. »Lehre die Wahrheit unverfälscht und mit Würde«, trug Paulus seinem Schüler Titus auf (Tit 2,7). Dies hat Leo Scheffczyk getan. Er hat die Wahrheit des Evangeliums unverfälscht und mit Würde gelehrt, sich für sie eingesetzt und verzehrt und ist uns so ein Vorbild der Glaubenstreue geworden.

Bei seiner Ernennung zum Kardinal wählte Leo Scheffczyk als Wahlspruch für sein Wappen das Wort des Apostels aus dem Epheserbrief: den »unergründlichen Reichtum Christi verkündigen« (Eph 3,8). Unter dieses Apostelwort hat er sein ganzes Leben gestellt und uns damit gezeigt, was die Mitte seines Denkens und Arbeitens war, und vor allem auch, was die Mitte seines Lebens war: Jesus Christus, der einen unergründlichen Reichtum in sich birgt, weil in ihm die ganze Fülle der Gottheit wohnt (Kol 1,19). Es kam ihm darauf an, »in Christus zu sein«. Was das bedeutet, erläutert er in einer Predigt folgendermaßen: »Es meint mehr als eine bloße Gesinnungsgemeinschaft mit Christus, mehr auch als eine moralische Bindung an Christi Beispiel oder Gebot. Es geht vielmehr um ein lebendiges Ergriffen- und Durchdrungensein von Christus, das dem Gläubigen Anteil gewährt am Leben des Herrn, so dass vom Christen dann auch das Apostelwort gilt: ‚Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir'« (Gal 2,20).

In einer Predigt zitierte er einmal Meister Eckhart, der seinen Schülern immer wieder sagte: »Die Leute sollen nicht immer so viel nachdenken, was sie wohl tun sollten. Sie sollen lieber bedenken, was sie sein sollen«, und fährt dann selber fort: »denn die guten Werke kommen aus dem guten Sein«, aus dem Sein in Christus. Darauf kam es ihm selbst an; in Christus wollte er leben und durch sein Arbeiten dazu beitragen, dass alle in das »Sein mit Christus« finden.

Auf seinem Weg durch das Leben hat er sich Maria, der Mutter des Herrn, anvertraut. Er hat nicht nur oft und Wichtiges über Maria geschrieben und das große Marienlexikon herausgegeben. Er hat selbst an der Hand Mariens gelebt und sich von ihr immer tiefer in den unergründlichen Reichtum Christi hineinführen lassen. An ihrer Hand ist Kardinal Scheffczyk nun aus dieser Welt hinausgegangen und vor das unverhüllte Antlitz Gottes getreten. Nun darf er schauen, was er geglaubt und gelehrt hat, und teilhaben an dem unergründlichen Reichtum Jesu Christi, an der Fülle des Lebens bei Gott. Amen.



Erschienen in:
»Schlesischer Kulturspiegel« 1/2006 der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg




^
zurück nach oben