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»Wunder tut ein rechter Klang«
In memoriam Günter Bialas
    Darum halt nur fest die Treue,
    wird die Welt auch alt und bang,
    brich den Frühling an aufs neue,
    Wunder tut ein rechter Klang.

    (Joseph von Eichendorff, »Treue«)

Am 19. Juli 1997 wäre Günter Bialas, der große Komponist und bedeutende Musikpädagoge oberschlesischer Herkunft, 90 Jahre alt geworden. Bis ins hohe Alter – er starb bekanntlich vor zwei Jahren – nahm er regen Anteil am Musikleben der Zeit und bereicherte es um viele über den Tag hinaus gültige, den Menschen ansprechende und seinen Geschmack behutsam weiterbildende Werke von unverwechselbarer Eigenart. In München, wo Bialas an der Staatlichen Hochschule für Musik gelehrt hat und wo viele seiner Werke aufgeführt wurden, gedachte man seiner aus diesem Anlaß auf bewegende Weise.

Im Mittelpunkt der posthumen Geburtstagsfeiern stand die Premiere von Bialas´ letztem, 1992 uraufgeführten Bühnenwerk »Aus der Matratzengruft« im Staatstheater am Gärtnerplatz, eines Liederspiels (wie der Komponist es nannte) nach und mit Heinrich Heine, dem todkranken Dichter auf seinem Matratzenlager im Pariser Exil. Der Komponist fühlte sich, wie sein Schüler Ulrich Stranz in einem Nachruf feststellte, »Heinrich Heine ... in dessen kritischem Bekennertum, aber ... auch in dessen Verquickung von Melancholie und Ironie anverwandt«. In die Thematik des Werkes führte einige Stunden zuvor der Tübinger Literaturwissenschaftler Hans Mayer mit einem brillianten Vortrag über »Heinrich Heine am Ausgang dieses Jahrhunderts« – gleichzeitig eine Hommage auf den vor 200 Jahren geborenen Dichter – ein. Eröffnet wurde der Feststag mit einer auch vom Bayerischen Rundfunk aus dem Theater übertragenen Matinée mit Liedern und Kammermusik des Komponisten.

Die Hochschule für Musik hatte bereits Ende letzten Jahres in Verbindung mit der GEMA-Stiftung, der Bialas einen Großteil seines Nachlasses anvertraute, einen mit 15.000 DM dotierten Günter-Bialas-Kompositionswettbewerb für Kammermusik ausgeschrieben. Damit soll das Andenken an Leben und Werk des Komponisten wachgehalten sowie zur Auseinandersetzung mit seinen Werken und – ganz im Sinne von Bialas – zur Schaffung neuer Werke in seinem Geiste angeregt werden. Vorgesehen ist ein zweijähriger Turnus. Der diesjährige Preis wurde zu gleichen Teilen drei jungen Komponisten der Jahrgänge 1964, 1968 und 1970 zugesprochen; eine Jury ehemaliger Kollegen Bialas´ von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste hatte sie aus über 120 Einsendungen ausgewählt. Die Preisverleihung fand zum Geburtstag des Komponisten im Rahmen eines festlichen Konzerts in der Hochschule für Musik statt. Ein weiterer mit dem Namen von Günter Bialas verbundener, aus der GEMA-Stiftung gespeister Preis soll künftig regelmäßig durch die Bayerische Akademie der Schönen Künste an arrivierte Komponisten für ihr Schaffen bzw. für ein Auftragswerk vergeben werden.

Zu Bialas’ Geburtstag ist bei Bärenreiter im Auftrag der GEMA-Stiftung die Schrift »Kein Ton zuviel« erschienen. Sie enthält feinsinnige autobiographische Notizen des Komponisten, Erinnerungen an Weggefährten, Briefe, Reden, Interviews, Reflexionen über das eigene Schaffen, die Lehrtätigkeit, über andere Komponisten sowie Beiträge von Freunden, Kollegen, Schülern über ihn und Nachrufe auf ihn; auch seine ihm nur wenige Wochen vorausgegangene Frau Gerda wird darin gewürdigt, eine einst erfolgreiche Sängerin und Interpretin seiner Lieder, zuletzt unentbehrliche Hilfe bei der druckreifen Reinschrift der Partituren. Der kompositorische Nachlaß, Briefe und sonstige Dokumente gingen übrigens allesamt an die Bayerische Staatsbibliothek.

Ich hatte das Glück, Günter Bialas persönlich zu kennen. Er lebte am Rande des idyllischen Marktfleckens Glonn im Südosten von München, Kennern der bayerischen Literatur ein Begriff als Geburtsort der Volksschriftstellerin Lena Christ. Wir kamen über Eichendorff und die aus dessen oberschlesischem Geburtsort Lubowitz herüberdringende Kunde von der Rückbesinnung auf den Dichter in Verbindung. Er unterstützte die Bemühungen, Name und Werk Eichendorffs im polnisch gewordenen Land wiederzubeleben. Hatte er doch als junger Lehrer vor dem Krieg einige Zeit am Gymnasium der nahen Kreisstadt Ratibor unterrichtet und im Nachklang daran sechs Chorsätze nach Eichendorff-Gedichten komponiert.

Das Musikleben, das sich nach dem Krieg in Polen und besonders in Schlesien entwickelte, interessierte ihn natürlich ebenfalls. So erfuhr ich von seiner Bekanntschaft mit dem 20 Jahre jüngeren, aus Kattowitz kommenden Komponisten und Hochschullehrer Witold Szalonek, zuletzt tätig an der Berliner Hochschule der Künste als Nachfolger Boris Blachers. Bialas hatte die für seinen Lebensweg entscheidenden Eindrücke während der Gymnasialzeit in Kattowitz empfangen und freute sich besonders, als er 1994 von Szalonek zum Kattowitzer Musikfestival »Ars cameralis Silesiae Superioris« eingeladen wurde, auf dem sein viertes (schlesisches) Streichquartett »Assonanzen« – in Anlehnung an Eichendorff’s gleichnamiges Gedicht – zur polnischen Erstaufführung gebracht werden sollte. Er wollte bei dieser Gelegenheit auch seinen Heimatort Bielschowitz sowie Ratibor und die Eichendorff-Stätten in Lubowitz aufsuchen, worauf man sich dort schon eingestellt hatte. Wegen des schlechten Gesundheitszustands seiner Frau konnte er die Reise jedoch nicht antreten. Über den Vorbereitungen für das nächstjährige Festival, zu dem ihn ein erlesenes Harfentrio aus München begleiten sollte, ist er dann verstorben. Die »letzte Heimkehr« war ihm also nicht mehr beschieden. Um so erfreulicher ist es, daß eines von Bialas´ Werken, eine Serenade für Streicher, am 12. Oktober dieses Jahres in Kattowitz erklingen wird (zusammen mit Werken von Richard Wagner, Richard Strauss und Igor Strawinsky), wenn das Bayerische Staatsorchester im Rahmen der ersten Bayerischen Kulturtage in Polen dort gastiert.

Wo wird einst des Wandermüden letzte Ruhestätte sein? fragt der sterbenskranke Heine in Bialas’ Liederoper, um in unvergleich-
licher Art zu antworten:


    Immerhin! Mich wird umgeben
    Gotteshimmel, dort wie hier,
    und als Totenlampen schweben
    nachts die Sterne über mir.

Günter Bialas und seine Frau sind auf dem Waldfriedhof von Glonn begraben. Ein aus buntem Konglomeratgestein (Nagelfluh) herausgeschnittener schlichter Quader mit darin eingelassenen Schriftbändern aus hellem Bronzeguß – Reminiszenz an einen seiner vielen vierstimmigen Tonsätze? – bezeichnet ihre letzte Ruhestätte. Der Komponist hat den Grabstein nach dem Tod seiner Frau noch selbst bei seinem Nachbarn, dem Bildhauer Blasius Gerg, in Auftrag gegeben.

Der Marktgemeinde Glonn, in der Bialas nach Krieg und Gefangenschaft Aufnahme fand, blieb er stets verbunden – auch während seiner Lehrtätigkeit an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold. Nach eigenem Zeugnis sind seine Kompositionen »fast ausschließlich« in Glonn entstanden. Seine Zuneigung zu dem Ort findet sichtbaren Ausdruck in einem von ihm gestifteten schönen Brunnen – ebenfalls von der Hand des vorgenannten Bildhauers. Noch im Testament bedachte er die Gemeinde mit einem ansehnlichen Betrag, aus dem ein Klavier für den Musikunterricht der Schule angeschafft und eine komplette Sammlung seiner Notendrucke erworben werden konnte. Die Gemeinde hinwiederum ehrte den Komponisten mit der Goldenen Bürgermedaille, der höchsten Auszeichnung, die sie zu vergeben hat. Die jeweils höchsten Auszeichnungen auf kulturellem/künstle-
rischem Gebiet erhielt Bialas übrigens auch von der Landeshauptstadt München und vom Freistaat Bayern. Seit etwa einem Jahr ist er im Glonner Rathaus in einem Bronzerelief gegenwärtig, das sein schlesischer Landsmann Walter Kalot als eine der letzten Arbeiten entworfen und ausgeführt hat. Vielleicht erinnert man sich einmal auch im heute polnischen Bielschowitz bei Hindenburg (Zabrze) des großen Musikers, Mentors und Menschen Bialas, der von hier seinen Ausgang nahm. Wichtiger als dies war ihm jedoch, daß er gespielt und seine Musik (über alle Grenzen hinweg) gehört wird.






Erschienen in:
»Schlesischer Kulturspiegel« 3/1997 der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg
»Kulturpolitische Korrespondenz« Nr. 1016 vom 5.9.1997 der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat



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