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Nachruf
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Zum 100. Geburtstag
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Stolze Tradition …
in glänzender Weise fortgeführt

Zum 100. Geburtstag des schlesischen Nobelpreisträgers
Konrad E. Bloch

Der bevorstehende 100. Geburtstag des amerikanischen Biochemikers und Nobelpreisträgers schlesischer Herkunft Konrad Emil Bloch ist Anlass, sich seiner zu erinnern, seinen Lebensweg nachzuzeichnen und seine Leistungen zu würdigen, zumal er seine wissenschaftliche Prägung durch ein Studium in Deutschland und hier in München erfahren hat.

Mit dem Nobelpreis im Fach »Physiologie oder Medizin« wurde Konrad Bloch, Professor der Harvard University Cambridge, im Jahr 1964 zusammen mit Feodor Lynen von der Ludwig-Maximilians-Universität München für ihre Arbeiten zur Biosynthese des Cholesterins und über den Fettsäurestoffwechsel im tierischen bzw. menschlichen Organismus ausgezeichnet. Beide hatten zur gleichen Zeit – Anfang der 30er Jahre – in München studiert, Bloch an der Technischen Hochschule (jetzt Technische Universität) bei Nobelpreisträger Hans Fischer, Lynen an der Ludwig-Maximilians-Universität bei Nobelpreisträger Heinrich Wieland, sind aber ansonsten getrennte Wege gegangen. Dass Bloch, dem Spross einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie, die zwar Ärzte, aber keine Wissenschaftler hervorgebracht hatte, eine derart erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn beschieden sein würde, war ihm nicht an der Wiege gesungen worden. Wie kam es dazu?

Geboren und aufgewachsen ist Konrad Bloch, wie er in einem 1987 unter dem Titel »Summing up« gegebenen Abriss seines Lebens schreibt, im schlesischen Neisse, einer mittelgroßen Kreisstadt, die er ob ihrer gotischen und barocken Kirchen sowie des im Renaissancestil erbauten schönen Rathauses (gemeint ist wohl das sog. Kämmereigebäude) und eines 300 Fuß hohen Uhrturms (des Rathausturms) rühmt. Erwähnenswert findet er ferner die Festungsanlagen auf den Hügeln rund um die Stadt aus der Zeit des Preußenkönigs Friedrich II., um hinzuzufügen, dass dieser Schlesien der österreichischen Kaiserin Maria Theresia geraubt hat, ein Land, das sie als den wertvollsten Edelstein ihrer Krone ansah – weshalb er und seine Schulfreunde nicht sonderlich stolz darauf waren, Preußen zu sein.

Glücklicherweise gibt es in der vom letzten Krieg fürchterlich heimgesuchten Stadt noch das alte Geburtsregister des Standesamtes, in dem sich auf Blatt Nr. 40 unter dem 26. Januar 1912 der Eintrag findet: Vor dem unterzeichneten Standesbeamten erschien heute, der Persönlichkeit nach bekannt, der Rechtsanwalt Fritz Bloch, wohnhaft in Neisse Gartenstraße 4, mosaischer Religion, und zeigte an, daß von der Hedwig Bloch geborenen Striemer, seiner Ehefrau, mosaischer Religion, wohnhaft bei ihm, zu Neisse in seiner Wohnung am ein und zwanzigsten Januar des Jahres tausend neunhundert und zwölf, vormittags um zehn Uhr ein Knabe geboren worden sei und daß das Kind die Vornamen Emil Konrad erhalten habe.

Nach dem Besuch der Grundschule trat Bloch im Jahr 1921 ins städtische Realgymnasium Neisse über. An die Schulzeit hat er nach seinem eigenen Zeugnis gute Erinnerungen, obwohl das Schulsystem nicht dazu angetan war, spezielle Interessen der Jugendlichen zu wecken. Sein Chemielehrer insbesondere, stellt er später enttäuscht fest, hatte nicht den mindesten Einfluss auf seine Berufswahl; es scheint ihm im Gegenteil gelungen zu sein, das Fach völlig unattraktiv zu machen. 1930 schloss Bloch das Gymnasium mit dem Reifezeugnis ab. Wie angemerkt werden darf, legte der nachmals bekannte Zoologe Bernhard Grzimek das Abitur zwei Jahre vor ihm an der gleichen Schule ab. 1932, zum 100. Stiftungsfest, wurde die Schule übrigens nach dem 75 Jahre zuvor in Neisse gestorbenen und begrabenen Dichter Joseph von Eichendorff benannt. Das alte Schulgebäude gegenüber der barocken »Kreuz(herren)kirche« Peter und Paul hat den Krieg schwer mitgenommen überstanden und wird weiterhin für schulische Zwecke genutzt; Blochs Geburtshaus steht dagegen nicht mehr.

Nach einem Praktikum in einer Werkzeugmaschinenfabrik in Neisse und im Hochofenwerk Lübeck, durch das er sich offenbar auf eine Laufbahn im Bergwerks- und Hüttenwesen seiner oberschlesischen Heimat vorbereitete, schrieb Bloch sich am 5. November 1930 an der Technischen Hochschule in München für das Berg- und Hüttenfach (in der Chemischen Abteilung) ein. Das ist seiner im Historischen Archiv der Hochschule vorhandenen Studentenakte zu entnehmen. Auch eine sehr viel später angelegte Ehrenpromotionsakte gibt es an der Hochschule. Grund genug, darin etwas zu blättern und die Bezüge Konrad Blochs zu München und zur Technischen Universität (wie sie jetzt heißt) zu beleuchten.

Am Beginn des zweiten Studienjahres wechselte Bloch, so geht es aus der Studentenakte hervor, zum Studium des »Chemischen Faches« über. Er selbst führt diesen Wechsel auf die wenig begeisternden Metallurgievorlesungen und die Wirkung zurück, die eine Vorlesung in Organischer Chemie von Prof. Hans Fischer, dem 1930 frischgebackenen Chemie-Nobel­preis­träger seiner Hochschule demgegenüber auf ihn hatte. Möglicherweise nahm ihn außer­dem die im Sommerhalbjahr 1931 bei Prof. Funck belegte Vorlesung über das Periodische System der Elemente für die Chemie ein. Jedenfalls findet man ihn ab dem Sommerhalbjahr 1932 bis zum Winterhalbjahr 1934/35 ständig unter den Hörern von Prof. Fischer und in dessen organisch-chemischem Praktikum. In lebhafter Erinnerung sind ihm seiner eigenen Darstellung zufolge die Besuche von Sitzungen der »Münchner Chemischen Gesellschaft« geblieben, wo die großen Organischen Chemiker und Nobelpreisträger Richard Willstätter, Heinrich Wieland und Adolf Windaus über ihre Forschungsergebnisse vortrugen; letzteren ist übrigens die Strukturaufklärung des Cholesterins zu verdanken. Hier könnte Bloch auch Feodor Lynen begegnet sein, einem Schüler Prof. Wielands von der Ludwig-Maximilians-Universität München, bei dem er auch promovierte und dessen Schwiegersohn er wurde.

Finanziell war der Studiosus Bloch keineswegs auf Rosen gebettet. Die Wirtschaftskrise machte offenbar auch dem Betrieb seines Vaters (einer Gardinenfabrik) zu schaffen. Jedenfalls muss der Sohn regelmäßig um Stundung der Kolleggelder und Studiengebühren bitten – anfangs unter Beigabe entsprechender Schreiben des Vaters. In dem Brief vom 17. November 1931 nennt »Rechtsanwalt Bloch« ausdrücklich »die schwierige wirtschaftliche Lage, die einen sehr schleppenden Eingang der Außenstände bedingt, und die Tatsache, daß meine Tochter in Breslau Rechtswissenschaft studiert ...« als Grund für den beantragten Zahlungsaufschub.

Der stud. chem. Bloch war aber nicht nur der Laborwelt und seinen Fachbüchern zugetan. Er spielte seit seinem 13. Lebensjahr Cello, interessierte sich für Literatur, ging offenbar ausgiebig ins Theater. Wie ein bei den Akten befindlicher Unfallbericht an die Bayerische Versicherungsbank AG München zeigt, beteiligte er sich am 18. Mai 1932 an einem »wissenschaftlichen Lehrausflug« mit dem legendären Theaterprofessor Dr. Artur Kutscher von der Universität München nach Zell am See; bei dieser »Kutscher-Reise« zog er sich einen Knöchelbruch zu, der ihm einen Krankenhausaufenthalt eintrug. Möglicherweise war diese Unternehmung auch eine Bergwanderung oder Skitour im Gebiet der seinerzeit schon durch eine Seilbahn erschlossenen Schmittenhöhe, denn Bloch war zeitlebens ein Freund der Berge und begeisterter Skifahrer. Professor Kutscher, um den Faden wieder aufzunehmen, hatte die Theaterwissenschaft als Lehrfach an der Universität eingeführt und war einer der populärsten Professoren dieser Hochschule. Seine »Übungen zur Theaterkritik« und Autorenabende mit namhaften Schriftstellern zogen Hörer aller Fakultäten an. Unter ihnen kamen, heißt es, viele Ehen zustande. Mit seiner Frau, wiewohl Münchnerin und Hörerin Kutschers, wurde Bloch jedoch, wie ich von ihr selber weiß, erst Jahre später in den USA bekannt.

Nach einem Fachstudium von nur drei Semestern legte Bloch im Frühjahr 1933 die Diplom-Vorprüfung für Chemiker »mit Auszeichnung« ab. Bereits ein Jahr später ließ er den ersten Teil der Diplom-Hauptprüfung folgen und wiederum ein Jahr darauf, im Frühjahr 1935, schloss er das Studium mit dem Gesamturteil »sehr gut bestanden« ab und erwarb damit den akademischen Grad eines Diplomingenieurs im Chemischen Fach. Noch vor Aushändigung der Diplomurkunde reichte Konrad Bloch ein Gesuch um Fortführung des Studiums und Zulassung zur Doktorpromotion ein, in dem er sowohl angab, »Nichtarier« zu sein als auch darauf hinwies, dass sein Vater »Frontkämpfer im Sinn des Gesetzes ist und als Leutnant der Feldartillerie von 1914-1918 an der Front war«.

Es bedurfte noch zweier Nachfragen von München und von Neisse aus (wohin Bloch sich zurückgezogen hatte, da er aus finanziellen Gründen nicht in der Lage war, die Beantwortung des Gesuchs in München abzuwarten) und des Hinweises, dass er den Verlust eines Semesters vermeiden möchte – ehe er einen Bescheid erhielt. Darin heißt es unter dem 17. Mai 1935: Der Vorstand des Organisch-chemischen Instituts unserer Hochschule Geh. Regierungsrat Dr. H. Fischer hat Ihre Anfrage, ob Sie in seinem Institut als Doktorand aufgenommen werden, in einer kürzlich an Sie ergangenen Mitteilung bereits verneint. Ich kann daher Ihrem Gesuch um Genehmigung des Weiterstudiums zwecks Zulassung zum Erwerb der Doktorwürde an unserer Hochschule nicht stattgeben. In der Tat hatte Prof. Fischer in einer internen Notiz zuvor festgehalten: Herr Dipl.Ing. Bloch hat vor einigen Wochen an mich die Frage gestellt, ob ich, falls sein Gesuch um Zulassung zur Doktorprüfung vom Ministerium genehmigt wird, ihn als Doktoranden annehme. Diese Frage habe ich verneint. Dazu stellte Bloch später fest: H. Fischer (war zwar) ein glühender Patriot, aber kein Nazi und untadelig gerecht gegenüber allen seinen Studenten. Auch Blochs Bemühungen, an einer anderen Hochschule weiterarbeiten zu können, schlugen fehl. Bekanntlich hat der Deutsche Reichstag im September 1935 (anlässlich des Nürnberger Parteitags der Nationalsozialisten) die »Nürnberger Gesetze« beschlossen, mit denen die Diskriminierung der Juden legalisiert wurde.

Auf Fürsprache seines Lehrers Prof. Hans Fischer gelang es Bloch schließlich, eine Assistentenstelle am Schweizerischen Höhenforschungsinstitut Davos zu erhalten, wo er erstmals mit der Biochemie von Tuberkelbazillen in Berührung kam. Ende 1936 hatte er dann das Glück, in die USA auszuwandern, »mit großen Hoffnungen, aber völlig mittellos«. Mit einem Stipendium der von dem frühen deutschen Auswanderer Wallerstein gegründeten Stiftung konnte er am Biochemie-Department der Columbia University New York (College of Physicians and Surgeons) bei Hans T. Clarke aus England seine in der Schweiz begonnenen wissenschaftlichen Arbeiten fortführen und 1938 promovieren. Ein Empfehlungsschreiben von Prof. Fischer mit der lapidaren Feststellung »Herr Bloch ist gut.« hatte ihm wiederum den Weg geebnet. Clarke schätzte einerseits die von Hans Fischers Labor vermittelte gute Ausbildung und war andererseits für seine Sympathie und Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen aus Europa bekannt. Konrad Bloch glaubte darüber hinaus, wie er in seinem Lebensabriss schreibt, dass in seinem Fall auch die positive Antwort auf die im Bewerbungsgespräch beiläufig gestellte Frage, ob er ein Musikinstrument spiele, einen günstigen Einfluss hatte.

Nach der Promotion wurde Bloch von dem aus Deutschland stammende Pathologen und Biochemiker Rudolf Schoenheimer in seine Forschungsgruppe an der Columbia University aufgenommen. Dort lernte er das von diesem und seinem Assistenten David Rittenberg entwickelte Verfahren der radioaktiven Isotopenmarkierung zum Nachweis der Stoffwechselwege von organischen Substanzen im Organismus kennen und auf den Stoffwechsel des Cholesterins anwenden. Nach Schoenheimers frühem Tod im Jahr 1941 setzte er mit Rittenberg die vielversprechenden Arbeiten fort. Sein Interesse galt vor allem der Frage, wie die organische Schlüsselsubstanz Cholesterin (deren Struktur durch die Arbeiten von Wieland und Windaus bereits geklärt war) im menschlichen und tierischen Organismus aufgebaut, synthetisiert wird. Diese Fragestellung sollte ihn einen Großteil seines wissenschaftlichen Lebens beschäftigen. Schon bald erwies sich die Essigsäure als Grundbaustein bei der vielstufigen Bildung des Cholesterins.

1946 wechselte Bloch als Assistenzprofessor an das Biochemie-Department der University of Chicago, wo er 1948 ao. und 1950 o. Professor wurde. 1953 verbrachte er als Guggenheim-Stipendiat ein Jahr bei Nobelpreisträger Leopold Ružička am Organisch-Chemi­schen Institut der ETH Zürich, von wo er vielfältige Anregungen für seine eigene experimentelle Arbeit mitnahm. Im Jahr darauf wurde er als Higgins-Professor für Biochemie an die Harvard University in Cambridge (die älteste Universität in den Vereinigten Staaten) berufen – eine Stellung, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1982 innehatte. Von 1979 bis 1984 stellte er sein Wissen und seine Erfahrung noch in den Dienst der Harvard School of Public Health.

Weltweite Anerkennung erhielt Konrad Bloch 1964 durch die Auszeichnung mit dem Nobelpreis für »Physiologie oder Medizin«, den er gemeinsam mit dem Münchner Biochemiker Feodor Lynen für die unabhängig voneinander gemachten »Entdeckungen hinsichtlich des Mechanismus und der Regulation des Cholesterin- und Fettsäurestoffwechsels« empfing. In der Laudatio auf die Preisträger hob Professor S. Bergström vom Königlichen Karolinischen Institut in Stockholm hervor: Vor allem dank der grundlegenden biochemischen Arbeiten der diesjährigen Preisträger wissen wir heute bis ins einzelne, wie Cholesterin und Fettsäuren im Körper synthetisiert und metabolisiert werden. Diese Prozesse beinhalten Reaktionsfolgen mit einer großen Zahl von Einzelschritten. Der Aufbau von Cholesterin aus Essigsäure beispielsweise ist ein Prozess, an dem etwa vierzig verschiedene Reaktionsschritte beteiligt sind. In vielen Fällen sind Entgleisungen dieses komplizierten Synthesemechanismus und im Stoffwechsel der Lipide für die Entstehung einiger unserer wichtigsten Erkrankungen verantwortlich, speziell auf kardiovaskulärem [d. h. das Herz und die Blutgefäße betreffendem] Gebiet... Im Rahmen weiterer Untersuchungen auf diesem Gebiet, so lässt sich voraussagen, besteht Aussicht, einmal individuelle, spezifische Therapie gegen die Krankheiten betreiben zu können, die in den zivilisierten Ländern Haupttodesursache sind... Sie beide haben Ihre Forschungstätigkeit in München begonnen, und Sie haben die stolze Tradition dieser Stadt in glänzender Weise fortgeführt... Zu Feodor Lynen gewandt: Sie stehen nun würdig in der Reihe der früheren Münchner Nobelpreisträger Adolf von Baeyer, Hans Fischer und Heinrich Wieland... Und zu Konrad Bloch: Sie haben – wie die Altmeister Emil Fischer und Richard Willstätter – von dieser Stadt Ihren Ausgang genommen, aber dann Ihre Arbeit in der Neuen Welt fortgesetzt...

Für die Glückwünsche, die er von seiner alten Alma mater zur Nobelpreisverleihung bekam, bedankte sich Konrad Bloch mit den bewegenden Worten: While I did not complete my studies at the Technische Hochschule, I remember with pleasure the years I spent in Munich and particularly the inspiring teaching of Professor Hans Fischer.

Auf den alten Kontinent ist der amerikanische Staatsbürger Bloch, der er 1944 geworden war, wiederholt zurückgekehrt: 1953 zu einem sehr fruchtbaren Forschungsaufenthalt an die ETH Zürich und mehrfach auch nach München zu seinem Kollegen Lynen. Aus diesem wissenschaftlichen Austausch erwuchs eine enge Freundschaft. 1967 ernannte die Technische Hochschule München den Professor für Biochemie an der Harvard University in Würdigung seiner besonderen Verdienste um die Erforschung des Mechanismus von Biosynthesen der Steroide zum Ehrendoktor; die offizielle Bekanntgabe erfolgte im Rahmen der Feiern zum 100. Jahrestag der Hochschulgründung im Jahr darauf. Seinem Lehrer Hans Fischer war die Ehrendoktorwürde der Harvard University 1936 verliehen worden. Zu den dreitägigen Feierlichkeiten wurde Bloch von seiner aus München stammenden Frau begleitet.

Lore Bloch, geborene Teutsch, entstammt einer vor dem 1. Weltkrieg aus der bayerischen Rheinpfalz nach München zugezogenen jüdischen Kaufmannsfamilie und wurde 1911 in München geboren. Sie besuchte das aus einer »Höheren Töchterschule« hervorgegangene renommierte Städtische Mädchengymnasium an der Luisenstraße (auf dem beispielsweise auch Erika Mann, die Tochter Thomas Manns Abitur machte);im Schülerinnenverzeichnis der alten Jahresberichte habe ich ihren Namen und den ihrer jüngeren Schwester gefunden. Anfang der 30er Jahre begann Lore Teutsch an der Ludwig-Maximilians-Universität zu studieren, zunächst in der Philosophischen Fakultät I und später in der Staatswirtschaftlichen Fakultät; ihre Studentenkarte mit aufgeklebtem Passfoto ist noch erhalten. Ende 1933 verließ sie München, so ist den amtlichen Meldeunterlagen im Stadtarchiv zu entnehmen – in weiser Voraussicht der Dinge, die mit Hitlers Machtergreifung über die Juden kommen sollten – und ging nach New York. Ihre Schwester hatte sich kurz vorher nach London abgesetzt.

Die letzten Monate seiner Münchner Zeit, als es für jüdische Studenten schon schwierig geworden war, ein Zimmer zu bekommen, verbringt Konrad Bloch in Untermiete »bei Teutsch«, der verwitweten Mutter seiner späteren Frau, wie ich bei Sichtung des alten Meldeblatts überrascht feststellte. Außerdem ist dort, leider ohne Datumsangabe, zu lesen: Wurde auf Grund § 2 des Gesetzes v. 14.7.33 (BGBl I S. 480) der deutschen StA. für verlustig erklärt. Diese Bestimmung besagt: Reichsangehörige, die sich im Ausland aufhalten, können der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt werden, sofern sie durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt haben. Das gleiche gilt für Reichsangehörige, die einer Rückkehraufforderung nicht Folge leisten, die der Reichsminister des Innern unter Hinweis auf diese Vorschrift an sie gerichtet hat. In ihrem in der Isabellastraße der sog. Maxvorstadt gelegenen Haus harrte Frau Emilia Teutsch bis Ende 1939 aus, ehe sie zu ihrer Tochter nach New York flüchtete. Dort lernte sich das junge Paar kennen und heiratete 1941. Im selben Jahr stießen auch Blochs Eltern dazu. Der Vater war ebenfalls zur Aufgabe seines Besitzes gezwungen worden und hatte danach eine Zeitlang als Anwalt in Berlin gearbeitet. Diese letztgenannten Aufschlüsse verdanke ich der Liebenswürdigkeit von Frau Lore Bloch.

Der Festakt zum hundertjährigen Bestehen der Technischen Hochschule München und die akademischen Ehrungen – um darauf wieder zurückzukommen – fanden im Kongress­saal des Deutschen Museums statt; umrahmt wurde die Feier vom Bayerischen Staatsorchester mit Werken von Carl Orff, Richard Strauss, Wolfgang Amadeus Mozart und Henry Purcell. Der Oberbürgermeister der Stadt Hans-Jochen Vogel lud die Gäste im Anschluss daran zu einem Essen ins Alte Rathaus ein, der Bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel gab einen Abendempfang im Antiquarium der Residenz. Der zweite Tag war einem reichhaltigen Vortragsprogramm vorbehalten. Professor Bloch sprach im großen Physikhörsaal über »Aktuelle Probleme der Biochemie«, nicht ohne sich dabei an die hier erlebten »meisterhaften Vorlesungen und vor allem die dramatischen Demonstrationen, z. B. des Rückstoßprinzips«, zu erinnern. Aufgabe der Biochemie sei es, wie er sich ausdrückte, »die Vorgänge in der lebenden Zelle in chemischer Sprache zu beschreiben«. Seines verstorbenen Lehrers Hans Fischer, »eine große Persönlichkeit und ein überragender Forscher«, gedachte er bei dieser Gelegenheit mit den Worten: Nicht nur hat er mein Interesse an der Chemie geweckt, sondern ich verdanke es auch seinen Bemühungen in den frühen [?] dreißiger Jahren, daß ich meine Ausbildung in der Schweiz und den Vereinigten Staaten fortsetzen konnte. Daß ich später Biochemiker wurde, war wohl auch und zum nicht unwesentlichen Teil, wenn auch nur indirekt, dem Einfluß und den Anregungen Hans Fischers zuzuschreiben. Das Ehepaar Bloch und viele andere Ehrengäste beschlossen den München-Aufenthalt mit einer festlichen Aufführung von »Figaros Hochzeit« in dem 5 Jahre zuvor, nach Kriegszerstörung wiedereröffneten Nationaltheater. Dem seinerzeit unerwünschten Wissenschaftler muss es eine stille Genugtuung bereitet haben, in dieser Form von seiner alten Hochschule geehrt worden zu sein. 1976 folgte dann die Aufnahme in den Kreis der (auswärtigen, korrespondierenden) Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der auch Feodor Lynen, Hans Fischer und viele andere große Chemiker angehörten und angehören.

Es braucht wohl nicht besonders erwähnt zu werden, dass Konrad Bloch auch von mehreren US-amerikanischen und weiteren Universitäten weltweit die Ehrendoktorwürde und andere Auszeichnungen empfing sowie Mitglied bzw. Ehrenmitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften des In- und Auslands war. Zu den Auszeichnungen, die ihm in seinen späteren Jahren zuteil wurden, gehört auch der Oberschlesische Kulturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen, des Patenlandes der heimatvertriebenen Oberschlesier, im Jahr 1987. Den mit dem Preis verbundenen Geldbetrag (in Höhe von 10.000 DM) ließ er der Eichendorff-Gesellschaft zukommen, die ihn zur Vorbereitung des Eichendorff-Kongresses 1988, dem Jahr des 200. Geburtstags ihres Namenspatrons, und für ihr Jahrbuch »Aurora« verwendete, der bedeutendsten literaturwissenschaftlichen Publikation über die klassisch-roman­tische Zeit.

Konrad Bloch wird es sicher gefreut haben zu erleben, dass der Medizin-Nobelpreis, mit dem Paul Ehrlich am Anfang des letzten Jahrhunderts die achtunggebietende Reihe der schlesischen Nobelpreisträger eröffnet hat, im Jahr 1999 wiederum an einen Schlesier ging, den an der Rockefeller University in New York lehrenden und forschenden Günter Blobel (aus Waltersdorf, Kreis Sprottau). Im Jahr darauf, am 15. Oktober 2000, ist Konrad Bloch in Burlington bei Boston im Bundesstaat Massachusetts/USA im 89. Lebensjahr verstorben. Sein Resümee am Ende des eingangs genannten Lebensabrisses: Science is indeed a glorious enterprise, and has been for me, I admit, glorious entertainment.

Nach Konrad Blochs Tod hat man in Neisse den Entschluss gefasst, ihm eine Gedenktafel zu widmen. Dabei spielte wohl auch eine Rolle, dass das Andenken an die drei weiteren aus Oberschlesien stammenden Nobelpreisträger Kurt Alder (Chemie 1950), Maria Göppert-Mayer (Physik 1963) und Otto Stern (Physik 1943) in ihren Geburtsorten schon auf gleiche Weise wachgehalten wird. Entgegen der ursprünglichen Absicht, die Tafel in dem entlegenen Winkel der Gartenstraße anzubringen, wo einst Blochs Geburtshaus stand, das die Familie aber in späteren Jahren aufgegeben hatte, entschied man sich – wie von hier vorgeschlagen – für das Gebäude des ehemaligen Städtischen Realgymnasiums an der Brüderstraße (gegenüber der Kirche St. Peter und Paul), das Bloch neun Jahre lang besucht hat; in dem Haus ist jetzt die Grundschule Nr. 5 untergebracht. Die Inschrift der Tafel ist in Polnisch, Englisch und Deutsch (in dieser Reihenfolge) abgefasst und lautet auf Deutsch:

»In dieser Schule hat im Jahre 1930 der in Neisse / geborene amerikanische Biochemiker / KONRAD EMIL BLOCH / 21. Januar 1912 - 15. Oktober 2000 in Lexington (USA) / Nobelpreisträger im Bereich der Medizin im Jahre 1964 / sein Abiturexamen bestanden / 21. Januar 2002 – Bewohner der Stadt Neisse«.

Die Inschrift lässt glauben, Bloch sei als amerikanischer Staatsbürger geboren worden und habe als solcher das Abitur erlangt. Andererseits wird der Geburtsort mit dem deutschen Namen bezeichnet und dieser selbst dort beibehalten, wo von den Bewohnern der heutigen Stadt die Rede ist.

Bei der feierlichen Enthüllung der Gedenktafel am 15. Mai 2002 konnte – worum ich mich bemüht hatte – ein Brief von Frau Lore Bloch verlesen werden, in dem sie sich bei den Initiatoren der Tafel bedankt, »die es ermöglicht haben, das Andenken meines Mannes in seiner Vaterstadt Neisse in so schöner Weise zu erhalten«, und hervorhebt, dass »er sehr oft von der hervorragenden Vorbereitung für seine Karriere« durch das Realgymnasium »gesprochen« habe; ferner erinnert sie in dem Brief an den ihm verliehenen Oberschlesischen Kulturpreis und bezieht sich auf seine Dankesworte aus diesem Anlass, in denen es u. a. heißt: ... erweckt in mir Erinnerungen an eine sorglose Jugendzeit in Neisse, damals eine besonders schöne historisch bedeutungsvolle Landstadt im Glatzer Becken. Das Neisser Rathaus und seine Renaissance-Fassade, der einzigartige mit einem Doppeladler gekrönte ›Schöne Brunnen‹, die Radierungen von Adolph von Menzel, all dies ist in meinem Gedächtnis heute so klar als hätte ich Neisse gestern verlassen....

Inzwischen trägt auch eine Abteilung der staatlichen Höheren Fachschule Neisse, das sog. »Collegium Medicum«, das auf Gesundheits- und Krankenpflegeberufe vorbereitet, Blochs Namen.

Am 18. September 2010 ist Lore Bloch, bis zuletzt wohlauf und aktiv, in dem seit 1954 bewohnten Haus in Lexington (»Birthplace of American Liberty«, wie sich die Stadt unweit von Boston in Erinnerung an den dort am 19. April 1775 begonnenen Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg nennt) gestorben. Aus der Ehe mit Konrad Bloch ging ein 1944 geborener, in Westport/Wisconsin lebender Sohn und eine 1948 geborene, in Philadelphia/Pennsylvania lebende Tochter hervor: Peter Conrad Bloch und Susan Elizabeth Bloch. Der Sohn, ein studierter Wirtschaftswissenschaftler, war Lehrbeauftragter am Department of Forest and Wildlife Ecology der University of Wisconsin-Madison, die Tochter ist Praktische Ärztin für Chinesische Medizin. Frau Susan Bloch hat mir gefälligerweise einige Fotos aus dem Familienalbum zur Illustration dieses Beitrags zur Verfügung gestellt.



Erschienen in:

»Jahrbuch der Deutschen in Polen 2012«, Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), Oppeln/Opole.

»SCHLESIEN HEUTE« 1/2012, Senfkorn-Verlag A. Theisen, Görlitz.




Quellennachweis:

1. Konrad Bloch: Summing up, in: Annual Review of Biochemistry 56, 1987.
2. Historisches Archiv der Technischen Universität München,
Studentenakte Konrad Bloch:
Anmeldebogen,
Verzeichnis der belegten Vorlesungen und Übungen,
Brief des Rechtsanwalts Fritz Bloch vom 17.11.1931 an die Technische Hochschule in München,
Schreiben des Syndikats der Technischen Hochschule München vom 20.6.1932 an die Bayerische Versicherungsbank A.G. München,
Zeugnis über die Diplom-Vorprüfung für Chemiker vom 25.3.1933,
Lebenslauf vom 31.1.1935,
Brief Konrad Blochs vom 3.4.1935 an das Syndikat der Technischen Hochschule München,
Diplom-Ingenieurs-Urkunde für das chemische Fach vom 26.4.1935,
Notiz Prof. Fischers vom 15.5.1935 zu II/2979,
Bescheid vom 17.5.1935 Az. II/4297.
Personalakte Konrad Bloch:
Schreiben Prof. Blochs vom 10.11.1964 an den Rektor der Technischen Hochschule München,
Urkunde vom 13.12.1967 und Schreiben des Rektors der Technischen Hochschule München an Prof. Bloch vom 18.12.1967.
3. Technische Hochschule München, 100-Jahrfeier 1968, S. 6/7.
4. Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München, Studentenkartei I (Teutsch).
5. Stadtarchiv München:
Einwohnermeldeblatt Bloch Konrad Emil.
Einwohnermeldeblätter Teutsch.
6. Städtisches Mädchenlyzeum mit Humanistischem Mädchengymnasium und Mädchenrealgymnasium an der Luisenstraße in München: Bericht über das Schuljahr 1929/30.
7. Neue Deutsche Biographie (hg. von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) 13. Band, 1982: Kutscher Artur, S. 346/347.
8. Von der Nobelstiftung Stockholm autorisierte Ausgabe aller Texte und Dokumente zum Nobelpreis für Medizin 1958-1964 in deutscher Sprache, Coron-Verlag Zürich.
9. Bayerische Akademie der Wissenschaften, Jahrbuch 1976, S. 112/113.
10. Brief Konrad Blochs vom 2.11.1987 an Waldemar Zylla, Bundeskulturreferent der Landsmannschaft der Oberschlesier e.V..
11. Auskunft von Prof. Dr. Peter Horst Neumann, der den mit dem Oberschlesischen Kulturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen verbundenen Geldbetrag seinerzeit als Präsident der Eichendorff-Gesellschaft entgegengenommen hat.
12. Unser Oberschlesien (Organ der Landsmannschaft der Oberschlesier e.V.), Nr. 23 vom 4.12.1987.
13. Fax von Lore Bloch vom 12.5.2002 mit der Bitte, ihre Dankesworte bei der Enthüllung der Gedenktafel für Konrad Bloch in Neisse den Beteiligten der Zeremonie zu übermitteln.
14. Nachricht von Peter Bloch vom 23.10.2010 über den Tod seiner Mutter Lore Bloch.
15. Mitteilungen von Susan und Peter Bloch vom 17. und 18.9.2011.




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