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Von Koperniki zu Kopernikus

»TERRAE MOTOR SOLIS CAELIQUE STATOR«

Auf einer meiner Entdeckungsreisen durch Schlesien kam ich 1998 auch nach Koperniki, einem kleinen Kirchdorf südlich des nach dem Krieg angelegten Stausees bei Neisse, nur wenige Kilometer vom böhmischen Grenzgebirge entfernt. Zu deutscher Zeit hieß der Ort Köppernig. Hier sollen die Vorfahren des Astronomen Nikolaus Kopernikus ansässig gewesen sein, ehe sie in Krakau und Thorn an der Weichsel als wohlhabende Kaufleute in Erscheinung traten. Der in der Familie über mehrere Generatio­nen geführte Vorname Nikolaus hat wohl mit dem Patron der Dorfkirche (jetzt Sw. Mikolaja) zu tun. Am Rande des Ortes gibt es heute eine nach dem großen Gelehrten benannte Schule (Szola Podstawowa im. Mikolaja Kopernika) und auf ihrem Areal ein Denkmal: eine vom polnischen Adler bekrönte quaderför­mige, auf ebensolchem Sockel stehende Säule und darauf unter einer stilisierten Darstellung der die Sonne umkreisenden Erde mit dem »Epizykel« des Mondes die verblichene, nur mühsam zu entziffernde Inschrift, zu deutsch:

Dem Genie unseres Volkes
dem großen Astronomen
der Welt
Mikolaj Kopernik
zur Ehre des Volkes
und seiner Ahnen
die aus dem Ort Koperniki stammen
zur bleibenden Erinnerung
gestiftet von
den Bewohnern des Neisser Landes
und dem Verein für die Entwicklung der Westgebiete
zum
1000-jährigen Bestehen des polnischen Staates
im Jahre 1966

Auffallend die unbekümmerte Inanspruchnahme des großen Namens für Volk und Staat sowie die Berufung auf dessen 1000-jährige Geschichte, was wohl auch vergessen lassen soll, daß besagte Territorien jahrhundertelang böhmisch und deutsch waren. 1973, als des 500. Geburtstags von Koperni­kus beiderseits von Oder und Neiße gedacht wurde, war der Verlust Schlesiens sowie jener Gebiete, in denen der Gelehrte gelebt und gewirkt hatte, für Deutschland schon zur schmerzlichen Gewißheit geworden. Nunmehr sind 525 Jahre vergangen, seit der Begründer des nach ihm benannten neuen Weltbilds in Thorn das Licht der Welt erblickte, und 455 Jahre seit Erscheinen des seine Erkenntnisse zusammenfas­senden epochalen Werkes von den Revolutionen der Himmelskörper »De revolutionibus« (orbium caelestium). Als eines der ersten von der Nürnberger Druckerei auf den Domberg nach Frauenburg am Frischen Haff zu Kopernikus gebrachten Exemplare des Buches dort eintraf, lag er bereits im Sterben, nachdem er »schon viele Tage vorher das Gedächtnis und die geistige Kraft verloren« hatte, wie der Bischof von Kulm festhielt.

Ich war vor einigen Jahren in dem jetzt Frombork genannten Ort, wo Kopernikus 30 Jahre seines Lebens als ermländischer Domherr und in weiteren herausgehobenen Funktionen des Domkapitels verbrachte und begraben ist. Auf dem Weg vom Hafen zu der von einer wehrhaften Mauer umringten »Gottesburg« steht in einem bis zu den Füßen reichenden Talar, mit in sich gekehrtem Blick eine monumentale Bronzestatue des berühmten Mannes. Den 1909 ihm zu Ehren errichteten Denkmalturm sucht man hingegen vergeblich. Von der Brüstung des in die Burgmauer eingefügten hohen Glockenturms hat man die herrlichste Aussicht auf das Haff, die Stadt und den wuchtigen, durch seine vier schlanken Ecktürme gleichwohl filigran wirkenden Baukörper des Doms zur Himmelfahrt Mariä, einem Meisterwerk deutscher Backsteingotik. In dieser Kirche wurde Kopernikus beigesetzt – ebenso wie sein Onkel und Förderer Lukas Watzenrode, der 16. Bischof des Hochstifts Ermland vor ihm. Ein Bildnis in barockem Rahmen, das den Domherrn demutsvoll, mit gefalteten Händen zeigt, und ein Epitaph erinnern an ihn. Aus dem Lateinischen übersetzt heißt es da in schlichten, zeitlos gültigen Worten: Dem Nikolaus Kopernikus aus Thorn, der einst Kanoniker dieser Kathedrale der Ermländischen Kirche war, dem hochangesehenen Astronomen, dessen Name und Ruhm Himmel und Erde erfüllte, errichteten dieses Denkmal zum Zeugnis brüderlicher Liebe und Wertschätzung die Prälaten, die Kanoniker und das ganze Domkapitel.

Einer der Wehrtürme in der Nähe des Doms, Kopernikus-Turm genannt, beherbergt ein dem Arbeits­zimmer des Astronomen nachempfundenes Museum. Die kargen technischen Hilfsmittel, die Kopernikus zu Gebote standen – das Fernrohr war zur damaligen Zeit noch nicht erfunden – lassen seine Leistung umso bewundernswerter erscheinen. Das Revolutionäre seiner Gedanken ist heute kaum mehr zu ermessen. Aber Kopernikus brach mit der jahrhundertealten, von vielen großen Geistern für unerschüt­terlich gehaltenen Lehrmeinung, derzufolge die Erde die beherrschende Stellung im Weltgefüge innehat, um die sich alles – der Mond und die Sonne, die Wandelsterne und die Fixsterne – dreht. Goethe urteilt darüber im Jahr 1810 wie folgt: Unter allen Entdeckungen und Überzeugungen möchte nichts eine größere Wirkung auf den menschlichen Geist hervorgebracht haben als die Lehre von Kopernikus. Kaum war die Welt (Erde) als rund anerkannt und in sich selbst abgeschlossen, so sollte sie auf das ungeheure Vorrecht Verzicht tun, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein. Vielleicht ist noch nie eine größere Forderung an die Menschheit geschehen … .

Im Bewußtsein der Ungeheuerlichkeit seiner der sinnlichen Wahrnehmungen widersprechenden Be­hauptungen und in weiser Voraussicht der dadurch hervorgerufenen Widerstände widmete Kopernikus das Werk – »diese Nachtarbeiten«, wie er es nannte – seiner Heiligkeit Papst Paul III., einem hoch­gebildeten, den Wissenschaften und Künsten wohlgesonnenen Mann, der durch sein Ansehen und Urteil »die Bisse der Verleumder leicht unterdrücken« könne. Und er fügte hinzu »… wenn mich meine Meinung nicht täuscht, … werden diese unsere Arbeiten … auch für das kirchliche Gemeinwesen … von Nutzen sein«. Damit meinte er die Verbesserung des kirchlichen Kalenders. Tatsächlich fußt die wenige Jahre später unter Papst Gregor XIII. vollzogene Kalenderreform, die Einführung des Gregorianischen, noch heute gültigen Kalenders, im wesentlichen auf den Berechnungen von Kopernikus.

Trotzdem dauerte es beinahe zwei Jahrhunderte, bis sich die kopernikanische Lehre allgemein durch­setzen konnte. Bis weit ins 17. Jahrhundert hinein herrschte noch das Weltbild eines anderen bedeuten­den Astronomen, Tycho Brahes, vor, das an der Auffassung von der ruhenden Erde und der bewegten Sonne (und Fixsternsphäre) festhielt, die (übrigen) Planeten jedoch um die Sonne kreisen ließ. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts sowie im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts wurden mit der Verfeinerung der Beobachtungs- und Meßgeräte untrügliche physikalische Beweise für die Rotation der Erde sowie ihre Bahnbewegung gefunden. Die Himmelsbahnen waren schon vorher als Ellipsen erkannt worden, auf denen sich die Planeten und ihre Monde im dynamischen Gleichgewicht der auf sie wirkenden Kräfte bewegen. Im Jahr 1853 wurde Kopernikus auch in seiner Vaterstadt Thorn ein schönes, noch heute samt lateinischer Inschrift vorhandenes Denkmal gesetzt. Hieraus sind die Worte entnommen, die als Motto über diesem Beitrag stehen: »Der die Erde bewegt und Sonne und Himmel zum Stehen gebracht hat.«

Lassen wir zum Schluß Kopernikus selbst zu Wort kommen mit dem, was er in der Vorrede zum 1. Buch seines Hauptwerkes zum Lobpreis seiner Wissenschaft und des Allerhöchsten sagt: Was aber ist schöner als der Himmel, der ja wieder alles Schöne in sich schließt? ... Gewiß ist es allen Wissenschaften eigen, den Sinn des Menschen von jeder Art des Bösen abzulenken und dem Besseren zuzuwenden; in be­sonderem Maße vermag dies jedoch die Astronomie zu tun und dazu noch unglaublich hohen seelischen Genuß zu bereiten. Wer würde nicht durch fortwährende Beschäftigung mit den Dingen, die er in unübertrefflicher Ordnung geschaffen und durch göttliche Weisheit gelenkt sieht, durch ihren sozusagen trauten Umgang auf die Bahn des Guten und zu einer ehrfürchtigen Bewunderung des Schöpfers aller Dinge geführt, in dem alle Glückseligkeit ruht, in dem alles Gute seinen Höhepunkt hat?.






Erschienen in:
»Kulturpolitische Korrespondenz« Nr.1066 vom 25.1.1999 der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat




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